Update Schweizer Elsevier Agreement

Nach einer ersten ernüchternde Analyse zum Schweizer Elsevier Read & Publish Agreement (2020-2023) im August 2020 ist es nach 18 Monaten Vertragslaufzeit Zeit für eine weiteres Update.

77% Auschöpfung des Kontingents von 2020

Die Befürchtung, dass das Kontingent von 2850 OA Artikel nicht annähernd ausgeschöpft wird, hat sich inzwischen etwas abgeschwächt, ist aber noch nicht vom Tisch. Aktuell (Juni 2021) ist ist das Kontingent von 2020 zu 77% ausgeschöpft, dasjenige von 2021 zu 9%.

Es zeigt sich, dass die Durchlaufszeit von Einreichung bis zur Publikation bei Elsevier wirklich sehr lange dauern kann. Im Mai 2021 wurden beispielsweise 283 Publikationen als Teil des Schweizer Agreements OA publiziert. Etwas mehr als die Hälfte davon sind noch Einreichungen aus den Jahr 2020.

Das heisst bis alle 2020 eingereichten Publikationen entweder publiziert oder abgelehnt wurden, und der Stand des Kontingents abschliessend beurteilt werden kann, dürfte es noch mehre Monate oder länger gehen.

Viele Schweizer Corresponding Author Papers bleiben Closed Access

Dabei liegt der tiefe Auschöpfungsgrad nicht daran, dass Schweizer AutorInnen weniger bei Elsevier publizieren. Vielmehr bleiben viele Publikationen, die eigentlich durch das Agreement Open Access sein könnten/sollten Closed Access. Mein Monitoring kommt inzwischen auf über 500 solcher Schweizer Corresponding Author Papers, deren summierter APC-Listenpreis 1.5 Mio € beträgt. Publikationen, bei denen Elsevier das Einreichedatum nicht veröffentlicht und deshalb die Eligibility von Aussen nicht sicher festgestellt werden kann, sind in dieser Liste noch nicht einmal enthalten. Beispiel: 10.1016/j.cagd.2021.102003

Wieso so viele Papers Closed Access sind, scheint mehrere Gründe zu haben. Von zwei AutorInnen habe ich das Feedback erhalten, dass die Option zu OA im Einreiche-Prozess nicht angezeigt wurde und somit der Verdacht besteht, dass die Identifikation der Affiliation bei Elsevier nicht zuverlässig funktioniert.

Weitere AutorInnen haben offenbar bewusst auf die OA Option verzichtet, weil sie Hybrid-Kosten befürchteten. Da die Schweizer OA-Community (insbesondere der SNF) seit 15 Jahren den Forschenden auf Hybrid und Double-Dip sensibilisiert ist dies eigentlich eine gute Nachricht.

Zwar können eligible Closed-Access Artikel nachträglich noch bei Elsevier für eine Öffnung gemeldet werden. Allerdings scheint das nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt möglich zu sein sein, und für eine wirksame Änderung müssen auch die AutorInnen aktiv werden, was diese (ähnlich wie die Ablage auf ein Repository bei Green OA) leider nicht immer tun.

Ein Drittel aller Schweizer Publikationen OA durch das Agreement

Relevant für das Agreement ist das Einreichedatum ab 1.1.2020. Das heisst, dass die Auswirkung verzögert eintritt und erst 2021 so langsam richtig abgeschätzt werden kann. Von den 3437 Publikationen, die 2021 mit einer Affiliation einer teilnehmenden Institution publiziert wurden, sind ein Drittel (1118) OA durch das Schweizer R&P-Agreement. Das entspricht 54% aller Schweizer Corresponding Author Publikationen.

Damit wird das Agreement dem eigenen Anspruch, nämlich mindestens für die OA-Stellung aller lokaler Corresponding Authors zu sorgen, nicht gerecht. Man muss allerdings beachten, dass dies inbesondere bei den Rahmenbedinungen von Elsevier auch nicht möglich wäre. Einerseits sind etliche Journals von Elsevier ja explizit vom Schweizer Agreement ausgenommen (z.B. Cell Press, verschiedene Society Journals). Anderseits führt die Möglichkeit, dass ein Artikel mehrere Corresponding Authors hat, und ein Autor oder Autorin mehrere Affiliations haben kann, durchaus schon zum Effekt, das Artikel über andere Institutionen OA werden.

Schaut man sich deshalb der OA-Status (via Unpaywall) der Schweizer Publikationen an, sieht es etwas tröstlicher aus. So sind immerhin 61% aller Corresponding- und Non-Corresponding Publikationen von 2021 in einer Form zugänglich.

Verzerrtes Kosten- und Nutzenverhältnis

Eine Steigerung auf 61% OA ist ohne Zweifel eine klare Verbesserung zu den reinen Abos. Doch die Kosten für diesen Schritt sind extrem hoch. Zurzeit liegt die PAR-Fee für das Jahr 2020 bei über 6000€. Sollte das Kontingent ganz ausgeschöpft werden wird die PAR-Fee bei 4500€ EUR zu stehen kommen.

Mit Blick auf die einzelnen Institutionen sieht man erwartungsgemäss bereits grosse Unterschiede zwischen dem historischen Subskriptionspreis und dem Preis gemäss Publikationsverhalten der eigenen AutorInnen.

Man darf gespannt sein wie die Bibliotheken die innerkonsortiale Preisverteilung für das dritte und vierte Vertragsjahr neu aushandeln werden.

Internationaler Vergleich

Wie ist das Schweizer Elsevier Agreement im internationalen Vergleich zu werten? Während der ETH-Rat vor 10 Jahren bei dieser Frage ergebnislos kapitulierte, haben wir heute glücklicherweise bessere Möglichkeiten zum Vergleich. Ich habe dazu meinen Ansatz, denn ich für das Monitoring des Schweizer Agreements begonnen habe, nun auch auf andere Länder (Niederlande, Schweden, Finland, Norwegen, Polen, Ungarn, Österreich und Dänemark) übertragen. Das Ergebnis ist unter https://oa-monitoring.ch/elsevier_monitor/ zugänglich.

Ich hoffe ich kann zu einem späteren Zeitpunkt ausführlich auf den internationalen Vergleich eingehen. Es fällt auf, dass das Phänomen, dass Publikationen die Open Access sein könnten bzw. solllten nicht frei zugänglich sind, sich bei allen Ländern zeigt. Bei Schweden sind es beispielsweise über 700 Artikel, was insofern unbefriedigend sein muss, da Schweden eigentlich ein „All you can publish“ Deal hat und im Agreement auch explizit ein Vorgehen mit Elsevier definiert hat, wie in im Falle nicht erkannter Publikationen vorzugehen ist.

Besser sieht die Situation in den Niederlanden aus, wo zwar auch noch viele Corresponding Author Papers Closed Access bleiben, jedoch für einen ähnlichen Preis massiv mehr OA-Publikationen enhalten sind.

Vergleicht man die Schweiz mit den Niederlanden und Schweden sieht man diesen Unterschied deutlich:

Da Elsevier bei Agreements ohne Limit die Publikationen nicht einem spezifischen Jahr zuweist, und manchmal das relevante Einreichedatum nicht öffentlich ist, kann die Aufteilung pro Jahr ungenau sein. Genauer wird der Vergleich wenn den ganzen Agreement-Zeitraum anschaut, also 2020 bis heute:

Da für alle 3 Länder das Einreichedatum relevant ist, wird sich die PAR-Fee sowohl für 2020 und 2021 weiter nach unten bewegen. Doch es zeigt sich bereits, dass die Schweizer praktisch doppelt soviel zahlen wie die Niederländer.

Fazit

Leider ändert sich an meinem Fazit vom letzten Jahr nicht viel. Die Verantwortlichen dieses Deals haben sich völlig unnötig auf etwas Halbgares eingelassen, mit dem niemand wirklich zufrieden sein kann. Zwar ist der Anstieg auf 61% OA erfreulich, aber nur solange man den Preis nicht kennt. Wenn ich zudem höre, dass Schweizer OA-Verantwortliche nun AutorInnen hinterherrennen müssen, wenn es bei der Einreichung mit OA nicht geklappt hat, ist man eigentlich am Punkt wo man ja gleich die 61% via Green Road OA ohne Embargo hätte erreichen können. Die Millionen hätte man in sinnvollere Alternativen stecken können.

Immerhin hat man bei swissuniversities erkannt, dass man durch den Fokus auf R&P Agreements Gold OA vernachlässigt hat. Vor kurzem wurden nationale Verhandlungen mit reinen Gold OA Verlagen, sowie die Stärkung von institutionellen Gold OA Funds angekündigt. Für Gold OA ist eine Kostenobergrenze von 2500 CHF vorgesehen. Wo war diese Obergrenze als man mit Elsevier den teuersten Schweizer Deal aller Zeiten eingegangen ist?

Der Schweizer 57 Mio EUR Elsevier Deal

Das Read & Publish Agreement von swissuniversities mit Elsevier gilt für Publikationen, die ab dem 1. Januar 2020 bei Elsevier eingereicht werden. Allerdings wurde erst Ende Mai 2020 der Vertrag und die Liste der relevanten Journals offiziell kommuniziert.

Big-Deal mit einem OA-Addendum

Der Vertrag liest sich zunächst wie ein klassischer Big-Deal für Journal Subskriptionen. Die Schweizer Hochschulen gönnen sich einmal mehr für 4 Jahre Zugriff auf das gesamte Journal-Portfolio von Elsevier. In einem Addendum von anderthalb Seiten wird schliesslich der neue Workflow für OA-Publikationen beschrieben.

1.5 Seiten OA-Bedingungen

Demnach können alle AutorInnen der teilnehmenden Institutionen (Sämtliche Schweizer Hochschulen, sowie Agroscope, FIBL, Uni Liechtenstein und Schweizer Vogelwarte) im Hybrid und Gold OA Programm von Elsevier Open Access publizieren:

JahrAnzahl APCs inbegriffenPreis R&PPAR-fee*
20202850 APCs13.8 Mio EUR4842 EUR
20213000 APCs14.1 Mio EUR4692 EUR
20223150 APCs14.4 Mio EUR4558 EUR
2023Unlimitiert (All you can publish)14.6 Mio EUR?
* Die PAR-fee (Read and Publishing fee) ist ein sehr grober Indikator, der zeigt wieviel Geld für die APC und dem noch bestehenden Lesezugriff pro Artikel ausgegeben wird (in Deutschland ist die PAR-fee bei Wiley beispielsweise 2750 EUR)

In den ersten drei Jahren, ist eine bestimmte Anzahl Artikel (APC’s) inbegriffen. Wird in einem Jahr weniger publiziert als vereinbart, verfällt das Kontingent. Wird mehr publiziert als vereinbart, werden die AutorInnen von Elsevier bei der Einreichung darauf hingewiesen und können dann entscheiden ob sie die Standard-APC für Hybrid oder Gold OA des jeweiligen Journals ausserhalb des Agreements zusätzlich bezahlen wollen.

Kontingent wird 2020 kaum ausgeschöpft werden.

Für das Jahr 2020 und dem Preis von 13.8 Mio EUR steht den Hochschulen ein Kontingent von 2850 APCs zu Verfügung.

Wieviele Publikationen bereits durch das Agreement veröffentlicht worden sind, lässt sich anhand von Metadaten bei Elsevier herausfinden (Najko Jahn 2019).

Demnach wurden bislang knapp 400 Publikationen unter dem neuen Agreement Open Access veröffentlicht.

Selbst wenn man berücksichtigt, dass nicht das Publikationsdatum, sondern das Einreichedatum relevant ist und deshalb die Publikationen von 2020 erst mit einer zeitlichen Verzögerung bis ins Jahr 2021 hinein sichtbar werden, ist diese Zahl überraschend tief. Mit etwa 30 Publikationen pro Woche wird man kaum in den Bereich gelangen, das Kontingent auszuschöpfen.

Pro Woche werden zwischen 20 und 30 Schweizer OA Artikel als Teil des Agreements publiziert.

Zu viele Papers sind nicht im Agreement

Wie die Gegenprobe zeigt, werden aktuell viele Artikel der involvierten Institutionen nicht über das Agreement veröffentlicht. Ich komme auf knapp 400 Corresponding Author-Papers. 75% sind in Journals publiziert, die auf der Liste des Agreement sind. Beschränkt man sich auf den Artikel-Typ „Full-length Papers“ sind zurzeit 169 Papers Closed Access, bei denen ich erwartet hätte, sie würden unter das Agreement fallen.

Entweder lehnen die Hochschulen viele Eingaben ab, oder die Papers werden von Elsevier gar nicht für das Agreement identifiziert und vorgeschlagen.

Desweiteren gibt es noch über 650 Papers, bei denen ein „Schweizer“ Co-Author, aber eben nicht Corresponding-Author ist. Diese Papers sind vom Agreement ausgeschlossen.

Insgesamt muss man deshalb konstatieren, das von den mindestens 1450 „Schweizer“ Papers, die seit 1.1.2020 bei Elsevier eingereicht und publiziert wurden, nur gerade 27% durch das neue Read & Publish Agreement frei zugänglich geworden sind.

Mirror Journals

Über das Agreement wurden bereits auch 10 Artikel in den sogenannten Mirror Journals publiziert. Hier hätte swissuniversities gut getan zu vereinbaren, dass Schweizer Corresponding Papers im Original-Journal, und nicht im Abklatsch-Journal landen. Hier ist man der dreisten Strategie von Elsevier, den Wechsel zu OA zu verzögern, einmal mehr voll auf den Leim gegangen.

Double Dip: Hybrid + Agreement

Auch gibt es Fälle bei dem die Hybrid Kosten nicht über das Agreement, sondern sehr wahrscheinlich über eine zusätzliche Rechnung an das Institut bezahlt wurde. Bestätigt weiss ich das von diesem Beispiel: http://doi.org/d6gt

Wenn nun das Kontingent nicht regulär ausgeschöpft wird, sind solche Fälle von Doppelzahlung, als die neue Art von Double Dip besonders ärgerlich.

Nur 42% CC-BY

Als grober Designfehler zeigt sich auch, dass man nicht zentral definiert hat, dass Artikel die über das Agreement veröffentlicht werden, immer eine CC-BY Lizenz haben. In dem man diese Wahl den AutorInnen überlässt, haben nun 58% der OA Artikel die Lizenz CC-BY-NC-ND, welche bekanntlich nicht mit der Berliner Erklärung kompatibel ist, die ja von swissuniversities, bzw. den einzelnen Hochschulen unterzeichnet wurde.

58% der AutorInnen wählen eine CC-BY-NC-ND Lizenz

Keine Qualitätsvorgaben

Ärgerlich ist auch, dass man es bei swissuniversities versäumt hat, klare Vorgaben hinsichtlich Qualität zu setzen. Sei das inhaltlich (z.B. Transparenz beim Peer-Review bzw. die Veröffentlichung von Peer-Review Reports) noch formal, wie z.B. die Ausgabe von vollständigen Metadaten. Elsevier verweigert ja bewusst, die Ausgabe von Zitationsdaten via Crossref. Ebenfalls liefert Elsevier keine Affiliations oder Abstracts an Crossref.

Halbherzige Transparenz

Und dann ist da noch das leidige Thema Transparenz. Zwar wurde der Vertragstext in weiten Teilen zugänglich gemacht, aber ausgerechnet bei den Kosten pro Institution, entschied man sich wieder intransparent zu bleiben:

Ungeachtet klarer früherer Entscheide, verweigern viele Hochschulen auf meine Anfragen die Auskunft. Dabei wird häufig unkritisch die Argumentation von Elsevier übernommen:

Anstatt mit 10 Minuten Aufwand Transparenz zu schaffen, sind sich viele Hochschulen (z.B. PHZH, ZHAW, UZH, UniFR, ZHDK, Lib4RI) nicht zu schade, sich selbst, mich und die Rekursinstanzen zu beschäftigen, indem sie die Ausgaben auf Anfrage nicht bekanntgeben und aussichtslose Verfahren provozieren. Immerhin gibt es doch auch einige Institutionen (z.B. UniSG, ETHZ, Agroscope, EPFL) die das Transparenzbedürfnis der Öffentlichkeit gegenüber den rein kommerziellen Interessen noch richtig abwägen können und die Zahlen nach langer Bearbeitungszeit bekannt gegeben haben.

Fazit

Wer diesen Blog seit längerem verfolgt weiss, dass ich mich in der Vergangenheit mehrfach für Read & Publish Agreements als realistischen Weg zu Open Access ausgesprochen habe (z.B. hier oder hier).

Dass meine damalige Forderung nun endlich umgesetzt wurde, stimmt mich leider nur halbwegs zufrieden. Das Agreement kommt viel zu spät und nun in einem Umfeld, bei dem sich die Parameter bereits wieder stark geändert haben (z.B. Sci-Hub, PlanS, Elsevier Abbestellung Deutschland).

Dem Agreement merkt man leider an wie es entstanden ist. Man hat sich viel zu lange von Elsevier hinhalten lassen, um dann kurz vor Ende 2019 zu etwas Halbgarem zuzustimmen, weil man nicht den Mut hatte neben Springer Nature auch Elsevier eine Abfuhr zu erteilen.

Besonders störend ist die Tatsache, dass man hier gleich einen 4-Jahres-Vertrag abgeschlossen hat. Hätte man nicht besser mit einem 1-2 Jahres-Vertrag anfangen können um Erfahrungen zu sammeln und Fehlentwicklungen, wie sie sich bereits abzeichnen noch korrigieren zu können? Nun hat man für vier Jahre alle Trümpfe aus der Hand gegeben und muss vielleicht auch noch bald Werbung für Hybrid-OA bei Elsevier machen, wenn sich die Publikationszahlen nicht so entwickeln, wie man dies antizipiert hat. Dabei wäre es ja eigentlich erstrebenswert, wenn weniger Schweizer AutorInnen in Hybrid-Journals von Elsevier, sondern in richtigen Open Access Journals publizieren. Das Signal welches dieses Agreement für richtige Gold Open Access Verlage aussendet ist zudem fatal. Ohne öffentliche Ausschreibung wird Elsevier ein Mega-Auftrag zugeschanzt, während man diejenigen Verlage, die sich seit Jahren tatsächlich um OA bemühen und dies auch günstiger liefern können, links liegen lässt.

Mit einer PAR Fee von über 4500 EUR ist man zudem auf einem bereits extrem hohen Preisniveau, das einmal mehr eindrücklich zeigt, dass OA in der Schweiz nicht am Geld scheitert.

Man hat sich nun mit dem Geld 30% OA bei Elsevier gekauft. Für die 100% die swissuniversities bis 2024 erreichen will, muss aber noch sehr viel passieren.

Schweiz: Absage an Springer Nature. Zusage an Elsevier und Wiley

Der wirklich grosse Big Bang ist in der Schweiz ausgeblieben. Dennoch kündigen nun alle Schweizer Hochschulen ihren Big Deal mit Springer Nature (inkl. Nature Journals). Wie Swissuniversities bekannt gibt, konnte Springer Nature nun nach über 1.5 Jahren Verhandlung kein passendes Angebot liefern.

Obwohl mit Wiley ebenfalls seit einem Jahr verhandelt wird, verlängern hier die Schweizer Hochschulen unverständlicherweise den Big Deal ohne hinsichtlich Open Access etwas erreicht zu haben.

Bei Elsevier hat man in einem Jahr Verhandlung ebenfalls noch kein Agreement erreicht. Immerhin besteht ein Memorandum of Understanding, dass man im März 2020 ein Read & Publish Agreement haben will, dass dann wohl für die Schweizer Einreichungen ab Januar 2020 gültig sein soll.

Swissuniversities bewahrt Rest-Glaubwürdigkeit

Mit der Absage an Springer Nature sichern sich die Schweizer Hochschulen das bisschen Glaubwürdigkeit, dass ihnen im Dossier Open Access verblieben ist. Seit Jahren zeige ich in diesem Blog auf, wie Bibliotheken mit einem ausgeprägtem Stockholm-Syndrom jeweils immer mehr für Subskriptionen zahlen und dann in der Konsequenz bei OA nicht weiterkommen. Ende 2014 habe ich auf das erste Read & Publish Agreement mit Springer in den Niederlanden hingewiesen. Eigentlich hätte man schon 2015 bei einem Verzicht auf die unnötigen Nationallizenzen (ironischerweise auch mit Springer) Richtung OA abbiegen können. 2017 habe ich am Beispiel Springer vorgerechnet, dass ein OA Agreement ab 2018 durchaus für beide Seiten drin liegt oder man ansonsten Springer den Laufpass geben soll.

Meine Freude, dass nun die Entscheidungsträger an den Hochschulen nun endlich auch zu diesem Schluss gekommen sind, wird durch das Wissen getrübt, dass durch dieses unverständliche Zögern, weitere 10 Mio CHF öffentliche Gelder und wertvolle Zeit verschwendet worden sind.

Unverständlicher Wiley-Big Deal

Leider geht die Verschwendung bei Wiley weiter. Es werden 2020 wieder öffentliche Gelder an Wiley fliessen, ohne dafür OA zu erhalten. Anders als bei der inkonsequenten Verlängerung des Big-Deals mit Springer Nature letztes Jahr, hat man nun mit Wiley ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, welches erst 2021 vielleicht zu einem Read & Publish Agreement führt.

Wieso man ein Read & Publish Agreement (z.B. analog zu Schweden) nicht schon dieses Jahr verlangt hat und im Falle einer Verweigerung durch das Wiley-Management den Big Deal konsequent aufkündigt ist unverständlich und zeigt, dass man die kommerzielle Natur eines börsenkotierten Verlages offenbar immer noch nicht verstanden hat.

Vielleicht auch deshalb gab swissuniversities der Pressemeldung den merkwürdigen Titel: swissuniversities definiert Beziehungen mit den Verlagen, als ob diese Beziehung irgend anderes definiert sein könnte, als ein Dienstleister-Kunden Verhältnis.

Elsevier Read and Publish Agreement

Beim angekündigten OA Big-Deal wird der Preis entscheidend sein, um den Deal zu beurteilen. Die erste Generation von Big Deals mit OA-Komponenten bei Elsevier (e.g. Niederlande, Finnland) waren nicht wirklich befriedigend, da sie nur Discounts auf APCs gewährten. Die zweite Generation (Polen, Norwegen, Ungarn, Schweden, Carnegie Mellon) sind bezüglich OA viel umfangreicher, jedoch häufig sehr teuer und teilweise mit dem Kauf von Analytics (Scopus, SciVal) verbunden. Vermutlich der „beste“ Deal dürfte zurzeit Schweden haben, da man dort Elsevier schon einmal deutlich Nein gesagt hat. Hier wird sich zeigen, ob sich die Schweizer Hochschulen mit der bisherigen Haltung (viel Geld, aber wenig Mut und Rückgrat) einen anständigen Deal herausgeschlagen haben. Zudem lässt der andauernde Boykott der deutschen Hochschulen und der University of California auch erahnen, dass Elsevier aktuell nicht bereit ist, unter einem gewissen Preis in diese Agreements einzusteigen.

Kleiner historischer Moment und grosse Chance

In Anbetracht, dass die Universität Basel 2017 noch vor Bundesgericht mit dem Argument überzeugte, ohne die Subskriptionen von Elsevier, Wiley und Springer können sie ihren Forschungsauftrag nicht mehr wahrnehmen, ist die nun angekündigte Abbestellung der Springer Nature Journals geradezu ein kleiner historischer Moment.

Bestimmt auch ein Moment, der bei einigen BibliothekarInnen Sorgen erweckt, da sie einerseits diesen Entscheid gegenüber ihren Forschenden verteidigen müssen und anderseits ihr bisheriges Rollenverständnis als Gatekeeper aufgerüttelt wird.

Das Risiko eines Aufschrei der Wissenschaft ist klein. Die Nutzung von Sci-Hub ist in der Schweiz legal und mit dem neuen Core-Browser-Plugin gibt es neu sogar Konkurrenz zu Unpaywall um OA-Versionen zu finden. Die Abbestellung entlastet swissuniversities zudem bei ihrer vorgesehenen Massnahme „Kommunikation und Sensibilisierung“ zu OA. Denn jetzt wird das Thema in die hintersten Ecken ankommen auch ohne, dass man teuere PR-Massnahmen betreibt, die letztlich nur diejenigen 20% Forschenden erreicht, die von OA eh schon überzeugt sind.

An den letzten OA-Tagen in Hannover war es für mich zudem ein grosses Highlight festzustellen, dass inzwischen sehr viele Beteiligte mit dem deutschen OA-Big-Deal mit Wiley unzufrieden sind. Die positiven Erfahrungen mit der Abbestellung von Elsevier führt in Deutschland offensichtlich zu einer Lust mit dem Subskriptionsmodell ganz zu brechen.

Die Lust könnte sich in der Schweiz auch einstellen, wenn man nun mit der Abbestellung von Springer Nature sieht, dass der Kaiser eigentlich nackt ist.

Update: 19.12.2019

Springer Nature bekundet auf Twitter, dass der Zugang bis auf weiteres für die Schweizer Forschenden gegeben ist. Oh ja, der Kaiser ist sehr nackt!

Update: 23.12.2019

Swissuniversities stellt eine FAQ online.

Big Bang statt Big Deal?Verhandlungen in der Schweiz mit Elsevier, Springer und Wiley drohen zu scheitern

Es geht um 22.4 Mio EUR, welche die Schweizer Hochschulen alleine den drei grossen Verlagen Elsevier, Springer und Wiley jährlich für Zeitschriften bezahlen.

Quelle: Schneider Gabi (2019). Nationaler Aktionsplan Open Access. 7.11.2019

In 6 Wochen könnte es sein, dass dieses Geld nicht mehr an diese Verlage fliesst. Am 16. Oktober erhielten die Schweizer Hochschulen von Michael Hengartner, Präsident von swissuniversities einen Brief, wonach Vorbereitungen zu treffen sind, sollten die Ende Jahr auslaufenden Verträge nicht erneuert werden.

Seit einem Jahr versucht ein Verhandlungsteam mit Vertretung von Rektor/innen, Forschenden, Bibliotheken und des Schweizer Konsortiums Read & Publish Verträge mit den drei Grossen zu erreichen. Die Ziele dieser Verhandlungen wurden vorgängig in einem fortschrittlichen Factsheet, welches sich an den Verhandlungsgrundsätzen von LIBER orientiert, angekündigt.

2018: Kniefall vor Springer Nature

Während andere Länder nun schon seit mehreren Jahren Offsetting-Agreements mit diversen Verlagen abschliessen und dadurch den Open Access Anteil ihrer „eigenen“ Artikelproduktion steigern, hat die Schweiz bisher von der Seitenlinie zugesehen und den Verlagen weiterhin Millionen für Closed Access hinterhergeworfen. Anfang dieses Jahres haben einige Hochschulen immerhin mit RSC ein erstes, jedoch intransparentes Read & Publish Agreement geschlossen.

Gemäss dem Factsheet von swissuniversities wollte man eigentlich schon 2019 ein Read & Publish Agreement mit Springer Nature haben. Allerdings wurde Mitte (!) 2018 still und leise im Fliesstext auf der OA-Webseite von swissuniversities folgender Satz eingefügt:

Im Interesse eines erfolgreichen Transformationsprozesses passte swissuniversities auf Wunsch von Springer Nature die im März 2018 kommunizierte Agenda an und vereinbarte für 2019 eine Übergangslösung.

Wie das Beschaffungsportal simap.ch zeigt, kostete diese euphemistisch bezeichnete „Übergangslösung“ 5.2 Mio EUR.

Verzug des Aktionsplans

Gemäss der Open Access Strategie (2017) von swissuniversities sollen 2024 alle von öffentlichen Geldern finanzierten wissenschaftlichen Publikationen „der Schweiz“ frei zugänglich sein. Wenn dieses Ziel noch erreicht werden soll, muss nun Einiges geschehen. Beim Aktionsplan ist man in diversen Bereichen in Verzug:

Quelle: Schneider Gabi (2019). Nationaler Aktionsplan Open Access. 7.11.2019

Kein Zweitveröffentlichungsrecht

Ein herben Dämpfer erlebte die Strategie ebenfalls, als der Wunsch nach einem gesetzlich verankerten Zweitveröffentlichungsrecht im Parlament bei der Urheberrechtsrevision im Sommer 2019 durchfiel:

Der Bundesrat ist hier der Auffassung, dass ein gesetzgeberischer Eingriff nicht notwendig ist. Die Universitäten stehen bereits heute in Verhandlung mit den Verlegern. Zudem hat Swissuniversities auch in den Hearings darauf hingewiesen, dass die Schweiz im Bereich Open Access im internationalen Vergleich eine führende Rolle einnimmt. Das zeigt schon, dass die Selbstregulierung hier funktioniert, ohne dass es eine zusätzliche Regulierung durch den Gesetzgeber braucht.

Bundesrätin Karin Keller-Sutter, im Ständerat am 4.6.2019

Man kann dies Entscheid des Parlaments durchaus als Quittung dafür ansehen, dass man in den vergangenen Jahren die eigene Passivität im Dossier OA gegenüber der Öffentlichkeit und Politik permanent beschönigt hat.

Zur Erinnerung: Als 2010 Nationalrat Theophil Pfister den Bundesrat einlud, mit dem Gewicht des Geldgebers den Zielen von OA eine stärkere Gewichtung zu geben (Motion 10.3240) wurde diese Einladung ausgeschlagen:

Insgesamt werden nach Einschätzung des Bundesrates die Arbeiten im Bereich Open Access von den verantwortlichen Akteuren zielführend und effizient angegangen. Für den Bundesrat sind somit die Anliegen der Motion erfüllt, und es besteht zum jetzigen Zeitpunkt kein zusätzlicher Handlungs- und Regelungsbedarf im Sinne der Motion.

Befreiungsschlag ist möglich und nötig

Swissuniversities kann sich nun aus der selbstverschuldeten Lethargie befreien, indem nun Ende dieses Jahr klar Stellung gegenüber den Verlagen bezieht und konsequent für OA einsteht.

Man darf sich auch in Erinnerung rufen, dass die Unzufriedenheit mit den grossen Verlagen, insbesondere mit Elsevier, eine lange Geschichte hat:

Zwischenbericht_2010.jpg
Auszug Protokolle ETH-Rat 2010

Wie beispielsweise eine Umfrage an der ETHZ ebenfalls ergeben hat, wird eine Transformation zu OA von den Forschenden klar befürwortet und es gibt eine grosse Bereitschaft auf die Abos zu verzichten.

Dabei könnte Swissuniversities auch gar die Read- und Publishverträge ganz überspringen und sich voll und ganz auf die Finanzierung von Gold OA fokussieren. Die COAliton-S gibt diesen Agreements letztlich sowieso nur eine Chance bis 2024:

After 2024, we will be encouraging institutional libraries and large consortia to switch from ‘read and publish’ agreements with publishers to ‘pure publish’ deals for portfolios of subscription journals that have become open-access journals. The cOAlition S funders will contribute to financing such deals

Und man darf auch ruhig noch einmal betonen, dass die Nutzung von Sci-Hub in der Schweiz legal ist und eine fantastische Abdeckung bietet.

Update 3. Dezember 2019

Die Universität Bern informiert zum ersten mal öffentlich und gibt bekannt, dass swissuniversities am 13. Dezember entscheiden werden.

Quo vadis, Crossref?

Crossref wurde im Januar 2000 von einer Gruppe der grossen Verlage (AAAS, AIP, ACM, Elsevier, IEEE, Springer, Kluwer, NPG, OUP, Wiley) mit folgenden Ziel gegründet:

To promote the development and cooperative use of new and innovative technologies to speed and facilitate scientific and other scholarly research.

Was als Initiative eines kleinen Club der „Reichen und Grossen“ angefangen hat, ist nun 20 Jahren danach eine international relevante Infrastruktur mit mittlerweile über 12’000 Mitglieder. Insbesondere durch das Sponsoring, bei dem eine (meist nationale) Institution die Mitgliedschaft für kleine Verlage sponsert, erfährt Crossref einen ungebrochenen Zuwachs von über 150 Mitgliedern monatlich.

“Crossref Annual Report & Fact File 2018-19”, retrieved 14.11.2019, https://doi.org/10.13003/y8ygwm5

Finanzierung

Die Finanzierung von Crossref besteht hauptsächlich aus zwei Komponenten:

a) 40% aus einem Mitgliederbeitrag der gemäss Umsatz eines Mitglieds festgesetzt wird.

b) 60% aus einer Gebühr die für jede Registration eines DOI fällig wird:

Die Mitgliederbeiträge der 11’799 kleinen Mitglieder (Umsatz kleiner als USD 1m) übertreffen inzwischen die Mitgliederbeiträge der 353 grösseren Mitglieder (Umsatz grösser als USD 1m). Letztere registrieren jedoch 3 mal mehr DOIs als a kleinen Verlage zusammen, und zahlen insgesamt dann doch mehr an Crossref ein.

Governance

Das Board von Crossref besteht aus 16 Personen. Die Statuten sehen vor, dass jeweils die Hälfte des Boards durch Mitglieder aus den Tiers besetzt werden, die 50% des Budgets von Crossref beisteuern. Durch den starken Zuwachs bei kleinen Verlagen in den letzten 8 Jahren hat sich somit auch das Stärkeverhältnis im Board zugunsten der kleineren Verlage verschoben.

Unzufriedenheit bei einigen Grossen

2014 wurde die Mission überarbeitet und lautet seither:

Crossref makes research outputs easy to find, cite, link, assess, and reuse.

We’re a not-for-profit membership organization that exists to make scholarly communications better. We rally the community; tag and share metadata; run an open infrastructure; play with technology; and make tools and services—all to help put scholarly content in context.

It’s as simple—and as complicated—as that.

Eine zum 20-jährigen Bestehen von Crossref durchgeführte Umfrage zeigt nun, dass insbesondere ein paar grosse Verlage mit der aktuellen Ausrichtung von Crossref auf eine breitere Community ihre Mühe haben, und sich eine Rückbesinnung das Ursprüngliche wünschen. Zwei grosse Verlage haben gar erwähnt Crossref womöglich zu verlassen und andere persistente IDs zu verwenden.

Crossref Meeting: Have your say

Beim jährlichen Meeting von Crossref LIVE19 in Amsterdam stand denn auch die aktuelle Ausrichtung von Crossref auf dem Prüfstand durch die Mitglieder und der Community. Am ersten Tag wurden die Umfrageergebnisse präsentiert und es gab kurze Präsentation wie die Community (Grosser, mittlerer, kleiner Verlag, Förderorganisation, Universität) Crossref sieht. Am zweiten Tag wurde anhand des ausgeteilten Annual Report & Fact File an mehreren zugewiesenen Tischen die Fakten und Strategie vergegenwärtig und Input für die Zukunft gesucht.

Im Factsheet (p.11) zeigte Crossref beispielsweise auf, in welchen Bereichen aktuell Zeit aufgewendet wird, verbunden mit der Frage ob diese Verteilung angemessen sei?

Oder es wurde anhand der strategischen Roadmap darüber diskutiert, ob nun den Ausbau von Event Data, der Abbau von technischen Schulden oder eine gemeinsame Suche mit DataCite wichtiger wäre.

Planung Stossrichtung „Simplify and enrich existing services

Auch wenn die Resultate dieser Diskussionen natürlich nicht repräsentativ als Handlungsanweisung für Crossref gelten können, hat es den Anwesenden doch geholfen, zu sehen wo Crossref aktuell überall engagiert ist und inzwischen eben weit mehr ist als nur eine DOI-Registrationsagentur.

Wie offen soll Crossref sein?

Crossref ist hinsichtlich dem Geschäftsmodell (Closed- oder Open Access) seiner Mitglieder agnostisch und hat bisher eigentlich sehr gut als neutrales Bindungsglied funktioniert. Es stellt sich die Frage, ob das wirklich so bleiben kann. Gerade wenn es um Vollständigkeit von Metadaten (z.B. Abstracts, Referenzen (I4OC)) oder um TextMining geht, verhindert das alte Geschäftsmodell von einigen traditionellen Verlagen die Innovation bei Crossref und den Nutzen für die breitere Community.

Offene und vollständige Metadaten bei Crossref ermöglicht Dritten mit geringen Hürden neue Dienste darauf aufzubauen und ggf. auch kommerziell zu vermarkten. Siehe beispielsweise die Vision von Jason Priem (Gründer von unpaywall):

Jason Priem, ourresearch.org, Stronger together: a single open dataset to map every facet of global research, Presented at FORCE2019

Dies birgt natürlich Interessenskonflikte mit denjenigen Crossref Mitgliedern, welche im Analytics-Bereich bereits Produkte haben, oder sich dorthin bewegen wollen. Siehe dazu auch die SPARC Landscape Analysis, welche anhand von Elsevier, Wiley und SpringerNature diesen Wechsel aufzeigen.

Bei Meeting in Amsterdam, verwies Ed Pentz, langjähriger Direktor von Crossref völlig zurecht auf das folgende Zitat von Amy Brand (Direktorin MIT Press) aus dem Blog Post: Crossref at a Crossroad:

The Crossref of 2040 could be an even more robust, inclusive, and innovative consortium to create and sustain core infrastructures for sharing, preserving, and evaluating research information. [But only if Crossref is not] held back, and its remit circumscribed, by legacy priorities and forces within the industry that may perceive open data and infrastructure as a threat to their own evolving business interests.

Ich kann mich dem vollständig anschliessen. Gerade wenn nun Förderorganisationen anfangen für Grants bei Crossref DOIs zu registrieren, muss die Priorität weiter auf „Open“ gesetzt werden. Am besten aber so, dass das verbindende Element von Crossref weiterhin zum Tragen kommt.

EMBO Journals – Zu teuer für Open Access?

Wer den empfehlenswerten Beitrag „Open access: The true cost of science publishing“ (2013) gelesen hat, blieb ratlos zurück. Die Einschätzungen über die tatsächlichen Kosten eines wissenschaftlichen Artikels reichten von $300 (Hindawi, PeerJ, Ubiquity Press) bis hin zu $30’000 (Nature). Dabei sind nur wenige Verlage auch wirklich transparent über ihre tatsächlichen Kosten. Neu gehört EMBO dazu. EMBO hat die vergangene Woche detailliert über die Einahmen und Aufwände des Jahres 2017 berichtet.

6’350€ Kosten pro Artikel

Insgesamt wurden im Jahr 2017 in den 4 Journals von EMBO 706 Artikel publiziert.

  • EMBO Journal (Subskriptionsjournal): 280 Artikel
  • EMBO Reports (Subskriptionsjournal): 226 Artikel
  • EMBO Molecular Medicine (Gold OA): 135 Artikel
  • Molecular Systems Biology (Gold OA): 65 Artikel

Die Annahmequote lag gemäss EMBO bei ca. 10%, so dass der Verlag mit etwa 7000 Einreichungen umgehen musste.

Für die Abwicklung dieser 7000 Einreichungen, bzw. dem Publizieren von 706 Artikel hat EMBO 4.48 Mio EUR aufgewendet, wobei sich diese Kosten auf EMBO Press Office (Standort Heidelberg) und Wiley aufteilen:

Aufwände für 4 Journals im Jahre 2017 (Fig 2)

Für Services bei Wiley (Produktion, Verkauf, Marketing, Plattform, Journal Promotion) wurden €2500 pro Artikel an Wiley bezahlt. €3850 pro Artikel gingen an EMBO Press:

Staff working at the four EMBO Press journals include 17 scientific editors (including those with managerial responsibility), three editorial assistants, a data integrity analyst, a project and marketing manager, and a designer. Salaries and employer costs (including pension contributions, health insurance, maternity cover etc.) make up €2.2 Mio. Office expenses, recruitment costs, conference fees, travel and other items add a further €504,000.

Runtergebrochen auf die offensichtlich sehr ordentlich bezahlte Arbeit heisst das:

Editors and assistants spend about 17 hours on a paper that ends up being published, of which six hours are spent after final acceptance on pre-production checks, integrity checks and data curation. For papers that are not reviewed, slightly under two hours are spent on initial quality checks and editorial assessment.

Die grundsätzlichen Aufgaben eines Scientific Editors kann man übrigens einem früheren Job-Inserat entnehmen.

1’880€ Gewinn pro Artikel

Obwohl die Kosten bei EMBO ausserordentlich hoch sind, schaffte es EMBO pro Artikel einen Gewinn von €1’880 einzustreichen, was einer stattlichen Gewinnmarge von 23% entspricht.

Bei seinen zwei Subskriptionsjournals EMBO Journals und EMBO Reports hält EMBO zudem zweimal die Hand auf. Ein Blick in den Hybrid OA Monitor zeigt, dass ingesamt bei 109 Artikel die Hybrid OA Option gewählt wurde. Bei einer Hybrid APC von €4’700 sprechen wir von zusätzlichen Einnahmen von €512’300.

  • EMBO Journal : 280 Artikel, davon 73 (26%) Hybrid OA
  • EMBO Reports: 226 Artikel, davon 36 (16%) Hybrid OA

Das EMBO-Dilemma

Die Offenlegung der Finanzen erfolgt mit der Erkenntnis, dass für einen vollständigen Flip zu Gold OA die höhe der aktuellen APC €3’300 (Pure Gold OA) €4’700 (Hybrid OA) nicht ausreichen. Dies führt zum Dilemma von EMBO:

“We want to go fully open access. At the moment, we can’t afford to. Who is going to pay and for what?”

Maria Leptin, Direktorin EMBO (Quelle: Zitiert in Science Business)

Mögliche Lösungen?

a) Kosten bei Wiley senken oder ganz weg von Wiley

EMBO betont unermüdlich non-profit zu sein. Wie nun diese Aufschlüsselung der Kosten zeigt, geht dennoch ein substanzieller Teil der Einnahmen an den börsenkotierten Wiley Verlag, welcher solche Partnerschaften auch gerne gegenüber seinen gewinnerwartenden Shareholdern herausstreicht:

Separately, we continue to add important and prestigious society partnerships. Quality matters to the research community and Wiley’s portfolio of brands keeps getting stronger.

Brian A. Napack, CEO John Wiley & Sons, Inc (Q1 2020 Inc Earnings Call)

Diese Partnerschaft mit Wiley sollte von EMBO hinterfragt werden. Wie Bernd Pulverer, Head of Publications bei EMBO, bei einem einem Talk erwähnt, dürften von einem grossen Verlag Wiley hinsichtlich technischer Produktion, Onlinestellung und Vermarktung eigentlich tiefe Kosten durch Skaleneffekte zu erwarten sein und entsprechend kann das Outsourcing an einen kommerziellen Verlag durchaus sinnvoll sein. Doch €2’500 ist extrem hoch. Ich bin überzeugt, dass andere Verlage die gleiche Dienstleistung für einen Fünftel dieser Kosten anbieten können.

Hinsichtlich einer Umstellung auf OA ist zu beachten, dass diverse Kosten aus der Subskriptionswelt sowieso wegfallen, oder extrem verschlankt werden können (bspw. Verkauf und Marketing).

b) Beteiligung von EMBO am Journalgeschäft

Aktuell generieren die Subskriptionsjournals einen zusätzliche Einnahme-Quelle für EMBO. Oder um es zuzuspitzen: EMBO entzieht via Subskriptionen den Forschungsinstituten Geld, nur um es dann später in Form von Förderung wieder in die Forschung zu pumpen. Dabei werden beiläufig auch die Taschen der Shareholder von Wiley gefüllt.

Gemäss Bernd Pulverer, ist man durchaus bereit, auf den aktuellen Gewinn zu verzichten, sollte es nötig sein. Aber weshalb nicht noch einen Schritt weitergehen? Weshalb kann und soll sich EMBO nicht an der Finanzierung des Journalgeschäfts beteiligen?

EMBO wird aktuell durch die Europäische Konferenz für Molekularbiologie (EMBC) finanziert, an welche praktisch alle europäische Staaten einzahlen:

Weshalb nicht diesen Finanzierungsmechnismus auch für die Journals zu nutzen?

Natürlich wäre zu diskutieren, ob die Europäer bereit wären alleine Journals zu finanzieren, in denen dann die ganze Welt publizieren könnten. Schaut man sich in Dimensions die Affilations der im Jahre 2017 publizierten Artikel aller Autorinnen (also nicht nur Corresponding Authors) an, zeigt sich dass 60% aus den Länder stammen, welche EMBC finanzieren.

Mit etwas Goodwill und Kreativität würde sich hier sicher ein passendes Modell finden. EMBC hat beispielsweise heute schon assoziierte Mitgliedschaften von Indien und Singapur, sowie Kooperationsvereinbarungen mit Taiwan und Chile.

c) Überdenken des Exzellenz-Begriffs

EMBO zelebriert Exzellenz und ist stolz auf die 90%-Ablehnungsquoten seiner Journals. Die Selektivität wird dabei als Argument verwendet, weshalb bei EMBO die Kosten so teuer sind:

The bulk of the publishing cost is due to editorial and peer review selection, quality control, and enhancement of manuscripts. Thus, the cost of APCs has to scale with a journal’s degree of selectivity. It is not surprising that there are only a few highly selective OA journals

Bernd Pulverer, https://doi.org/10.15252/embj.2018101215

So wirklich deutlich ist dieses Argument in den nun vorgelegten Zahlen nicht erkennbar, da nicht erwähnt wird, wieviele Einreichungen direkt nach einer 2h-Sichtung durch einen Editor abgelehnt werden und wieviele doch ein Peer-Review durchlaufen bevor sie abgelehnt werden.

Allerdings ist es grundsätzlich einleuchtend, dass wenn mehr Papers angenommen würde, die Kosten pro publizierten Artikel sinken würden.

Aus einer distanzierten Position, stelle ich mir schon die Frage, ob diese künstliche Selektion vor der Publikation nach engen Scope, Neuigkeit und Relevanz um dem Journal den Nimbus von Exklusivität zu geben tatsächlich noch zeitgemäss ist?

Was ist daran exzellent, wenn ein viele Ressourcen des Verlages, der Editoren, der Reviewers und den AutorInnen darauf verschwendet Inhalte abzulehnen, die dann vielleicht sowieso anderswo publiziert werden?

Das macht nicht einmal den EditorInnen bei EMBO Freude:

One part of the challenge is psychological:  that you inherently spend much more time rejecting than accepting papers. That comes with the job, everyone knows that and understands that. But some days you can feel like you turn people down. That can be particularly tough when you know that someone has spent a lot of time on a study. In those cases it helps to remember that editorial decisions are not generally about the technical quality of the work, but the scope relative to our journal. In addition, there are many other journals out there. Just because we cannot offer to publish a paper in The EMBO Journal doesn’t mean that it won’t be published elsewhere.

Anne Niesen, Senior Editor, EMBO Press (Quelle: Blog EMBL Careers)

Müsste es nicht eher das Ziel sein, möglichst effizient viele wissenschaftlich solide (≠ exzellente) Arbeiten zu publizieren? Können wir das Bedürfnis nach Relevanz und Einordnung heute nicht anders und besser angehen, als bloss mit dem Label des Journals. Gerade wenn offensichtlich ist, zu welchen absurden Auswüchsen der Fokus auf selektive Journals führt. Hier finde ich Ansätze, die weg von Journals führen, um einiges vielversprechender. Siehe Talk „Life After the Death of Science Journals“ von Viktor Tracz, Gründer von BMC und F1000.

EMBO hat mit einem transparenten Peer-Review Verfahren bereits viel Innovation geleistet. Mit der aktiven Beteiligung beim angekündigten Service reviewcommons.org, bei dem das Peer-Review vor dem Einreichen bei einem Journal geschehen soll, geht es definitiv in die richtige Richtung. Hier könnte aber in Sinne von Ressourcenoptimierung durchaus noch weiter gedacht werden.

Fazit

Mir ist erst im Laufe der Recherche zu diesem Post bewusst geworden, dass EMBO nicht einfach eine Society von individuellen Forschenden ist, sondern durch und durch öffentlich finanziert wird. Von daher ist die Kostentransparenz und die vollständige Umstellung zu OA in der aktuellen politischen Situation (OA-Strategien diverser Trägerstaaten, Plan S) mehr als hinfällig.

Die Zahlen zeigen, dass sich EMBO mit dem Exzellenz-Argument Luxuslösungen leistet, die überdacht werden sollten. Kann EMBO durch korrigierende Schritte die Kosten senken, sehe ich allerdings viel Potential um die Journals vollständig nach OA umzustellen.

Der Finanzierungsmechanismus von von EMBO bietet sich eigentlich nur so an, um auch auf die Journals übertragen zu werden.

Wellcome Trust / Gates Foundation: Bye Bye Hybrid

Die cOALition S hat grosse Unterstützung erhalten. Mit dem britischen „Wellcome Trust“ und „The Bill & Melinda Gates Foundation“ sind nun auch zwei grosse private biomedizinische Forschungsförderer an Bord gekommen.

Die beiden Förderorganisationen gehörten bisher schon zu den Front-Runners was Open Access anbelangt. Sie unterstützten aber bisher auch das Hybrid Modell. Der Wellcome Trust bezahlte in den Jahren 2014-2016 insgesamt EUR 7.1 Mio für Hybrid:

hybrid-OA-WellcomeTrust.png

Damit ist jetzt aber ab 2020 Schluss, wie der Wellcome Trust in seiner Ankündigung mitteilt:

We will no longer cover the cost of OA publishing in subscription journals (‘hybrid OA’). We previously supported this model, but no longer believe that it supports a transition to full OA.

Die Gates Foundation erreichte 2017 mit AAAS, dem Verlag hinter dem Journal „Science“ einen exklusiven Deal, wonach durch die Foundation geförderte Autorinnen Hybrid-OA publizieren konnten. Der Deal wurde im Juli 2018 beendet.

Anstelle von Hybrid verlangt der Wellcome Trust entweder Gold OA oder Green OA (Accepted Manuscript) ohne Embargo. Damit nimmt er bewusst in Kauf, dass damit viele Closed Access Journals (inkl. Nature und Science) für Wellcome-finanzierte Autorinnen nicht mehr für die Publikation in Frage kommen. Der Druck auf die Verlage mindestens bei den Self-Archiving Policies grosszügiger zu werden, steigt dadurch massiv. Zur vollständigen Umstellung zu Gold OA ist es dann nicht mehr so weit.

Hybrid wie geht es weiter?

Der angekündigte Ausstieg aus Hybrid kommt gerade in einem Moment, wo Hybrid durch diverse nationale Offsetting-Verträge an Fahrt aufgenommen hat. Dem Hybrid OA Journal Monitor ist zu entnehmen, dass der Hybrid-Anteil beispielsweise bei Springer Nature inzwischen auf über 8% geklettert ist.

hybrid oa monitor springer nature.png

In einzelnen Journals wie dem International Journal of Public Health, ist der Hybrid-Anteil bereits auf 30% gestiegen:

Hybrid OA International Journals of Public Health (Springer).png

Der Wellcome akzeptiert Hybrid-OA noch bis Ende 2021, wenn sie aus einem Offsetting-Modell (wie es JISC beispielsweise bei Wiley, T&F, IOP, SAGE und Springer hat) stammen. Damit gibt der Wellcome Trust den anderen Funders bereits eine Richtung vor, wie man in Plan S mit Hybrid OA umgehen könnte. Es war zu erwarten, dass sich die Funders darauf einigen nicht mehr Hybrid OA zu zahlen. Soll ein Funder aber den Forschenden verbieten Hybrid OA zu publizieren, selbst wenn die AutorIn oder jemand anders für die Kosten aufkommt? In der Praxis ist das kaum durchzusetzen. Von daher ist eine Übergangsfrist in dem Hybrid OA passiv toleriert, sehr sinnvoll.

Deutschland als wichtiger Impulsgeber

Es wäre zu hoffen, dass bis 2021 sich die Institutionen, welche bislang den Wechsel zu OA mit fortwährenden Subskriptionszahlungen verhindern (z.B. swissuniversities), sich ebenfalls überlegen, ob sie den Ball, den sie nun von den Funders zugespielt bekommen aufnehmen können. Eine Institution hat prinzipiell drei Möglichkeiten:

  1. Sie übernimmt Plan S und zahlt für Gold OA, verlangt Green OA mit 0 Embargo und bezahlt kein Geld mehr für Subskriptionen.
  2. Sie wählt einen Mittelweg und schliesst mit den Verlagen Offsetting-Verträge ab und setzt darauf, dass diese langfristig von den Fundes akzeptiert werden und dadurch eine kritische Masse an OA-Artikel für die Transformation zusammenkommt.
  3. Sie bezahlt ungeachtet der Implikation von Plan S (weniger relevante Forschung in europäischen Subskriptionsjournals), steigender OA-Anteil (inkl Hybrid OA) dank anderer Länder, wie bis anhin einfach brav die Subskriptionskosten.

Gerade die Schweizer Hochschulen zeigen mit ihrem unverständlichen Entscheid bei den laufenden Springer Nature-Verhandlungen, dass man sich trotz einer gegenteiligen Strategie, für die für ungünstigste Option 3 entscheiden kann. Die Chance, dass andere Institutionen trotzdem auf, die für OA beste Option 1 setzen, wird dadurch geschmälert. Denn Option 1 funktioniert am Besten, wenn möglichst viele andere entweder auch Option 1 oder 2 wählen.

Ein richtungsweisender Entscheid kommt sicher den DEAL-Verhandlungen in Deutschland zu. Bei Elsevier hat man bereits Option 1 eingeschlagen und zum Erstaunen aller funktioniert das ganz gut (Siehe auch Folien und Bericht des Workshops: „Literaturversorgung ohne Elsevier-Zugang“ vom 9. Oktober 2018). Bis Ende 2018 wird nun klar werden, wie die Deutschen Hochschulen mit Springer Nature und Wiley weiterfahren werden.

Kündigen die Deutschen Hochschulen ebenfalls ihre Big Deals mit Springer Nature und Wiley beschleunigt dies natürlich den Anschluss an Plan S (Option 1), dann es geht es (endlich) um Alles oder Nichts. Kommt das angestrebte Publish & Read Modell, kann dies ein langer Transformationsprozess über Hybrid-OA (und etwas Grün OA) bedeuten.

Daniel Ropers, CEO von Springer Nature prognostizierte im April 2018: „Es würde mich nicht überraschen, wenn es zehn, fünfzehn Jahre dauert, bis Open Access wirklich weltweit eine akzeptierte Alternative für das Abonnementmodell ist.“

Plan S: Antwort auf die Kritik

Es war klar, dass die Kritik an Plan S nicht ausbleiben wird. Via Twitter und Blog von Leonid Schneider ist eine Antwort von mehreren ChemikerInnen um Lynn Kamerlin erschienen. In diesem Blogpost möchte ich auf einige Punkte der geäusserten Kritik eingehen:

Gold OA – Nur für die Reichen

Obwohl Plan S eine Limitierung der Höhe von APCs vorsieht und auch OA-Infrastrukturen ohne Autorenbezahlung gefördert werden sollen, wird bereits darauf hingewiesen, dass der Wechsel zu Gold OA Ungleichheiten schaffen könnte:

Plan S could create a “pay-to-play” system, where only the best-funded researchers and institutions will be able to publish in the mandated journals, thus creating automatic inequality in publishing opportunities based on one’s geographic location and the size of one’s research budget. (Kamerlin et al.)

Mir soll bitte mal jemand mit soliden Zahlen aufzeigen, wie sich die Finanzströme bei einem Wechsel zu Gold OA denn verschieben würden und ob dies dann tatsächlich zu Ungunsten der finanzschwächeren Länder sein wird. Meines Wissens gibt es keine klare Evidenz dafür.

Im Gegenteil, wer sich tatsächlich aufrichtig um globale Chancengleichheit bemüht, kann erkennen, dass ein Wechsel zu einem vorwiegend APC basierten Gold OA auch den weniger finanzkräftigen Forschenden nützt. Denn das heutige Problem, aus finanziellen Gründen keinen Zugang zu Inhalten von Journals zu haben, wiegt massiv schwerer, als das möglicherweise künftige Problem, aus finanziellen Gründen nicht in einem bestimmten Journal publizieren. Das Problem des teuren Zugangs zu Literatur ist real und unumgänglich. Beim Publizieren hingegen gibt es viele günstige Alternativen. Und als Reminder: Gute Forschung ist objektiv auch dann gut, wenn sie in einem günstigen OA-Journal publiziert wird. Oder wie es Éric Archambault schrieb:

There has never been so many ways of diffusing research results in scholarly journals for free – you can find thousands of journals which do not have an APC, and are fully OA. You absolutely do not have to pay $1,000 or $2,500 to publish and have your paper being made widely available, just like you don’t need to buy a Model S Tesla if you want a car.

Gold OA: Motivation viel zu publizieren führt zu sinkender Qualität

Ein weiterer Kritikpunkt: Mit Gold OA und dem Author-Pays-Modell sinkt die Qualität der Papers, da Verlage motiviert sind möglichst viele Papers zu publizieren und dafür bei der Qualitätskontrolle nicht mehr genau hinschauen.

Dieses Incentive problem, wie es der kommerzielle OA-Verlag MDPI nennt, ist selbstverständlich nicht von der Hand zu weisen und ist tatsächlich die grosse Schwäche vom APC-basierten Geschäftsmodell, insbesondere bei profit-orientierten OA-Verlagen.

Anderseits muss man das Problem auch relativieren:

  • Auch in der OA-Welt muss ein Verlag um seine Reputation besorgt sein und kann sich deshalb langfristig nicht leisten qualitativ schlechte Papers zu publizieren. Da ein Verlag die „schlechteren“ Journals nicht mehr via Bundling den Bibliotheken unterjubeln kann, ist die Reputation bei Forschenden sogar noch viel entscheidender.
  • Publication Charges gibt es bereits seit langem auch im Subskriptionsmodell (z.B. bei OSA, IEEE, AGU, PNAS oder APS)
  • Da Editoren und die Peers weiterhin von der Wissenschaftscommunity gestellt werden, ist es für einen Verlag schwierig völlig eigennützig an deren inhaltlichen Interessen vorbei, ein Journal zu verwalten.
  • Die heutige „Publish or Perish“-Kultur mit der Tendenz Quantität vor Qualität zu stellen, ergibt sich aus einem fehlgeleiteten Anreizsystem von Forschungsförderern und Hochschulen. Diese hätten es selbst in der Hand die Anreize so zu setzen, z.B durch die konsequente Umsetzung von DORA, dass Verlage gar nicht in dem Ausmass wie heute in die alleinige Position kommen als Gatekeeper von Qualität in der Wissenschaft zu fungieren.
  • Qualitätsprobleme bei wissenschaftlichen Papers sind nicht nur auf APC-Journals beschränkt, auch wenn sie dort beim Segment der eindeutigen Predatory-OA Journals viel Aufmerksamkeit erhalten haben. Wer Retraction-Watch verfolgt weiss, dass auch in den „besten“ Subskriptionsjournals immer wieder Artikel zurückgezogen werden (müssen). Für dieses Problem muss die Wissenschaft als ganzes, aber natürlich auch jeder Verlag unabhängig vom Geschäftsmodell, Lösungen finden.

Verletzung der akademischen Freiheit?

Plan S verlangt faktisch, dass nur noch Pure Gold OA mit CC-BY akzeptiert wird. Damit stehen viele traditionelle Journals nicht mehr zur Auswahl, solange diese Journals nicht zu einem entsprechenden Geschäftsmodell wechseln. Die Kritik: Die akademische Freiheit wird dadurch unzulässig eingeschränkt.

Ob dies wirklich der Fall ist, wird sich bestimmt noch in kommenden länderspezifischen Diskussionen zeigen. Auch wenn viele europäische Staaten die akademische Freiheit kennen und schützen, ist es bei weitem kein einheitliches Konzept. In Deutschland warten wohl alle den Fall der Konstanzer Professoren ab, welche die Zweitveröffentlichungspflicht von Baden-Württemberg angefochten haben.

Als Nicht-Jurist scheint es mir allerdings naheliegend, dass die akademische Freiheit im Zusammenhang mit dem Publizieren, vor allem gewährleistet, dass inhaltlich ohne Einschränkung bzw. Zensur publiziert werden kann. Ob da die Wahl eines ganz spezifischen Journals auch dazu gehört ist fraglich. Wie Marc Schiltz zu Recht anmerkt, gibt es ja immer noch die Wahl zwischen Tausenden von OA Journals.

Die Vorgabe OA zu publizieren, verhält sich ähnlich wie wenn eine Universität vorschreibt, dass bei Dienstreisen nur Hotels in einem bestimmten Preissegement wählbar sind. Zugegeben, in der Regel kann bei der persönlichen Übernahme der Zusatzkosten auch ein teureres Hotel ausgewählt werden. Insofern müsste es bei Plan S eigentlich auch gestattet sein, Hybrid OA zu publizieren, solange die Kosten persönlich übernommen werden.

Nur CC-BY

Kamerlin et al. äussern auch Kritik an der CC-BY Vorschrift:

Several authors of this article, for moral reasons, are strong proponents of CC-BY-NC rather than CC-BY licenses on their work, in order to restrict for-profit commercial exploitation of publicly funded research.

Dieser Gesinnungswandel ist wirklich bemerkenswert, kommt er doch von AutorInnen die sich bis anhin nicht zu schade waren, das Verbreitungsrecht ihrer Arbeit exklusiv an For-profit Verlage abzutreten. Auch wenn die Motivation für CC-BY-NC hier sicherlich gut gemeint ist, gibt es in der Praxis Schwierigkeiten. Nicht von ungefähr empfiehlt die Open Access Scholarly Publishers Association ihren Mitgliedern dringend CC-BY. Die Gründe werden auf der Webseite und der FAQ von OASPA detailliert aufgeführt.

Warum nicht Green OA?

Weiter soll Plan S doch wieder Green OA zulassen:

One possible solution would be to convince all subscription (TA) journals to make all papers fully OA after an embargo period of 6-12 months, without APCs. In this environment, libraries would still buy subscriptions to allow scientists to catch up with the most recent developments, and the broader public would have access to all research without a paywall (but with a slight delay). (Kamerlin et al.)

Das wäre vielleicht vor 5 Jahren noch ein Kompromiss gewesen. Doch dafür ist die Zeit definitiv zu weit fortgeschritten. Gold OA funktioniert, während Green OA seit 15 Jahren vor sich hindümpelt, obwohl via Subskription immense und bislang nachwievor geheime Summen an die Verlage gehen.

Platinum OA

Fälschlicherweise wird Platinum OA nicht als kompatibel mit Plan S kritisiert. Solange ein CC-BY Lizenz verwendet wird (wie z.B. bei den Beilstein Journals) ist das völlig kompatibel. ACS Central Science ist zwar Platinum OA, verwendet allerdings eine eigene Lizenz, bei der kommerzielle Nutzung nicht gestattet ist und wäre in der Tat nicht kompatibel.

Fazit

Es ist gut, wenn Wissenschaftler sich in die Debatte einmischen. Nach Jahren Vertrauen und Gewähren, fordern nun die Forschungsförderer Loyalität bezüglich Open Access ein. Dies wird einige Forschenden vor harte persönliche Entscheidungen bei ihrem Publikationsverhalten stellen. Es ist sehr verständlich, wenn versucht wird, dieser persönlichen Entscheidung und Verantwortung aus dem Weg gehen, indem man lieber nochmals die Prinzipen von Plan S in Frage stellt und abzumildern sucht. Die Kritik von Kamerlin et al. überzeugt mich nicht. Sympathie habe ich jedoch mit dem Anliegen, das wissenschaftliche Publizieren nicht erneut den kommerziell orientierten Verlagen zu überlassen. Dazu muss aber die Wissenschaftscommunity endlich reagieren und aktiv werden. Gerade in der Chemie sind viele Journals eigentlich im Besitz von Fachgesellschaften (GDCh, ACS, RSC), welche sich aber bisher nur zaghaft der OA-Transformation angenommen haben.