Open Access Konferenz Schweiz 2018

Die Schweizer Universitäten wollen bis 2024 Open Access für ihre Publikationen erreichen. Dazu organisierte swissuniversities die mit 300 Teilnehmern die bisher grösste nationale OA-Konferenz an der Universität Lausanne. Neben den üblichen Verdächtigen der OA-Szene nahmen erfreulicherweise auch sehr viele Personen aus den höchsten Leitungsebenen des Schweizer Wissenschaftsbetriebs teil.

Schweizer OA-Strategie

Zunächst stellte Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich und Präsident von swissuniversities die bekannte Open Access Strategie von swissuniversities vor. An verschiedenen Stellen betonte Hengartner, dass es sich um eine typisch Schweizerische (will wohl heissen: dezentral, autonomiebewahrende, kompromissorientierte) Strategie handle. Man wolle bewusst alle Stakeholder einbeziehen, um eine möglichst breite Abstützung zu erhalten. Von Zwang wolle man prinzipiell absehen.

Beim Strategiepunkt Verhandlungen mit den Verlagen kündigte Hengartner bereits eine Verzögerung an. Die laufenden Verhandlungen mit Springer-Nature verliefen schwieriger als gedacht, so dass man das Ziel eines Read & Publish-Modell (wie es die Länder UK, NL, AUT, FIN, SWE bereits haben) für 2019 bereits aufgegeben und auf 2020 verschoben hat. Auf der OA Website von swissuniversities hat man dies in einer versteckten Ergänzung eines Absatzes bekannt gegeben:

swissuniversities passt auf Wunsch von Springer Nature die im März 2018 kommunizierte Agenda im Interesse eines erfolgreichen Transformationsprozesses zu Open Access an und handelt eine interimistische Lösung aus.

Auf Nachfrage gab sich Hengartner über die Hintergründe wortkarg. Mit Blick auf die Situation in Deutschland sehe man sehr wohl, dass die Welt beim Aufkündigen der Verträge nicht zusammenbreche. Trotzdem wolle man die eigenen Forschenden nicht in einen Nachteil versetzen, in dem sie keinen Zugang mehr auf die Inhalte haben. Man wolle grundsätzlich mit den Verlagen arbeiten und nicht gegen sie. Weiter wolle er sich nicht zum Thema äussern, da es doch klar sei, dass er nicht die Verhandlungsposition von swissuniversities bekannt geben kann. Allerdings sieht die präsentierte Strategie einen Ausstieg vor, wenn Verhandlungen scheitern. Wenn swissuniversities nun das fehlende Angebot von SpringerNature für die Transformation Open Access, wie bereits letztes Jahr unterwürfig damit belohnt, weiter brav die Abos zu bezahlen, kann man diese Strategie nicht wirklich ernst nehmen. Im Jahr 2015 zahlten die Schweizer Hochschulbibliotheken ca. 3 Mio. EUR an Springer (noch ohne Nature) nur für Abos.

Podium: Ist 2024 realistisch?

Im anschliessenden Podium wurde unter der Moderation von Axel Marion, auf einem relativ abstraktem Level diskutiert, ob die Ziele von swissuniversities realistisch seien. Gerade bei den Fachhochschulen (vertreten durch Luciana Vaccaro, Rektorin, HES-SO) und PHs (vertreten durch Hans-Rudolf Schärer, Rektor, PH-Luzern) war dann schon festzustellen, dass der ansonsten bei den Universitäten (vertreten durch Kilian Stoffel, Rektor, UniNE) vorherrschende Fokus auf Zeitschriften anders gelagert ist Schärer betonte beispielsweise, dass OA bei der Forschung aber auch den Lehrmitteln der PH für die Tausenden von Lehrpersonen in der Schweiz eine signifikante Verbesserung bewirken könnte.

Staatssekretär Dell’Ambrogio

Für den bald pensionierten Staatssekretär des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) Mauro Dell’Ambrogio war es sichtlich eine Freude zu OA referieren zu können. Schliesslich hatte sein Brief von 2015 dazu geführt, dass es bei swissuniversities endlich mit OA vorwärts ging. Viel kam dadurch ins Rollen, unteranderem auch diese Konferenz.

Man möge nun international gesehen nicht die schnellsten und ambitioniertesten sein, aber dafür sei man wohl realistisch. Der Bund könne und will sich da eigentlich nur auf diese Impulse beschränken, da das Hochschulwesen in der Schweiz (abgesehen von SNF) stark kantonal geprägt sei. Die Einflussmöglichkeit des Bundes auf den ETH-Bereich erwähnte Dell’Ambrogio nicht.

Vielmehr lobt er den beim Programm „Wissenschaftliche Information“ (SUK-P5) angewandte Mechanismus, dass nationale Projekte zu 50% von den Hochschulen selber getragen werde. So bleibe den Hochschulen die Wahlmöglichkeit und die daraus entstehende Diversität fördere letztlich gute Lösungen.

Open Access beim SNF

Am Nachmittag erklärte die Direktorin Angelika Kalt die Umsetzung von Open Access des Schweizerischen Nationalfonds SNF. Anders als swissuniversities möchte der SNF OA bereits 2020 erreichen. Der SNF zahlt inzwischen für Gold OA von Artikeln, Büchern und einzelnen Buchkapitel. Er zahlt jedoch nicht für Hybrid. Ansonsten erwartet er Green OA mit maximalen Embargos von 6 Monate bei ZS-Artikel und 12 Monate bei Buchkapiteln. Der SNF unterstützt Plan S, hat ihn aber noch nicht unterschrieben, da dazu noch einige Fragen zur Umsetzung unbeantwortet geblieben sind, und man als SNF auch gerne Plan S mit den Schweizer Hochschulen umsetzen möchte.

Podium: Kritik am APC-Modell und vom legalen Download als illegalen Quellen (Sci-Hub)

Adriano Aguzzi, Editor in Chief von „Swiss Medical Weekly“ ist wohl DER Verfechter von Platinum Open Access. Er legte sich gleich zu Beginn mit Kamila Markram, CEO von Frontiers an. Es liege auf der Hand, dass das APC-Modell dazu führe, dass profitorientierte Verlage Anreiz haben auch Inhalte mit schlechter Qualität zu überprüfen, da dadurch mehr Gewinn zu erwirtschaften sei. Kamila Markram, sichtlich genervt von diesem Vorwurf, erzählte auf Nachfrage der Moderatorin Claudia Appenzeller, zunächst die Gründungsstory von Frontiers. Sie konnte an der technischen EPFL nicht auf ihr eigenes, in den Life Sciences publiziertes Paper zugreifen. Mit ihrem Mann Henry Markram wollte sie den Missstand mit der Gründung eines Verlags beheben. Eigentlich strebten sie zunächst auch ein Modell an, welches weder den Leser noch die Autoren was kosten sollte. Die Geldsuche erwies sich jedoch schwierig. Zu Beginn floss viel unentgeltliche Arbeit rein, bis immerhin Novartis bereit war Geld einzuschiessen: ca. 100’000 [Fr.?]. 2013 kaufte sich die Holtzbrinck Gruppe bei Frontiers ein (Siehe auch 2016 Interview bei Richard Pyonder). Auf die Kritik von Aguzzi, dass dadurch doch eine Erwartung auf Gewinn vorhanden sei, antwortete Markram, dass seit 10 Jahren bei Frontiers bislang noch keine Dividenden ausbezahlt wurden. Auf kritische Nachfrage aus dem Publikum, was denn ein Investor da noch für einen Anreiz habe, antwortete Markram: „Es gibt Leute, die wollen die Welt verbessern.“

Aguzzi schlug weiter vor, dass Journals sich beispielsweise beim SNF um eine Trägerschaft bewerben, ähnlich dem Prozess für Forschungsgelder.

Daniel Hürlimann, Assistenz-Prof mit Schwerpunkt Informationsrecht, kondensiert seine Sicht auf 6 Vorschläge, die er sehr prägnant vorbrachte:

Insbesondere die Forderung nach dem Aufkündigen der Verträge, erregte bei Podiumsteilnehmer Rafael Ball, Direktor der ETH-Bibliothek, einiges an Widerspruch. Das Beispiel Deutschland sei nicht die „beste Referenz“. Er würde der Schweizer-Verhandlungsdelegation kein Vorgehen wie bei DEAL empfehlen, da es zu Unzufriedenheit bei WissenschaftlerInnen führt.

Hierauf erwähnte Hürlimann, die Schweizer Eigengebrauchsregel, wonach das reine Herunterladen selbst von illegalen Quellen legal sei, und spielte somit – ohne es explizit zu nennen – auf Sci-Hub an, wo der Content vieler Verlage nahezu vollständig verfügbar ist. Ein Trumpf, den die Schweizer Bibliotheken in ihren Verhandlungen für OA zu ihren Gunsten eigentlich ausspielen könnten. Für Ball kommt dies aber aus wohl moralischen Gründen nicht in Frage. Aber anstatt dies so zu deklarieren, bezeichnet er das Downloaden von Sci-Hub, weiterhin unbelehrbar als illegal, was vom Publikum, welches die Differenzierung nach Schweizer Recht längstens verstanden hat, jeweils mit einem Stöhnen quittiert wurde.

Open Science bei Europäischer Ebene

Weiters stellte Jean-Pierre Finance die Sicht auf Open Science aufgrund den erhaltenen Resultaten aus Umfragen (insbesondere Open Access Survey Report 2016-2017 und Big Deal Survey Report) der European University Association (EUA) dar.

Open Access aus der Sicht eines Nobelpreisträger

Anschliessend kam der 76-jährige Jacques Dubochet ans Rednerpult, welcher 2017 den Nobelpreis für Chemie erhalten hat (Siehe SRF Sendung Reporter). Er erinnert stark an das Klischee eines älteren Wissenschaftlers: Liebenswert, etwas zerstreut und ganz seiner Materie und der Wissenschaft verpflichtet. Er sprach von seiner damaligen Arbeit und der Entdeckung der Kryo-Elektronenmikroskopie, dessen vermeintlichen Durchbruch 1980 im Journal of Molecular Biology publiziert wurde. Allerdings konnte sein Team später die Resultate mit einem neuen Mikroskop nicht reproduzieren, was dann 1982 in Nature korrigierend bekannt gegeben wurde. Was sich damals bereits als Ende der wissenschaftlichen Karriere anfühlte, entwickelte sich durch eine gute Wendung letztlich positiv. Dubochet erzählte allerdings, wie er Jahre nach diesem Fehler versuchte mit seinem damaligen Kollegen, die Erkenntnis aus dem Fehler zu publizieren. Mit einem schelmischen Lächeln erzählte er, wie ihr Paper gerade vor Bekanntgabe des Nobelpreises noch bei Nature abgelehnt wurde. Deshalb wurde es dann etwas später bei PLOS Biology mit dem Titel „Ups and downs in early electron cryo-microscopy“ publiziert. Dies war offenbar seine erste Begegnung mit Open Access, dessen Idee er stark unterstützt, da er grundsätzlich findet, dass Wissenschaft dem Gemeinwohl verpflichtet sei.

Auf die Frage, ob es für den Nobelpreis wichtig war, in Nature publiziert zu haben, antwortete Dubochet, dass er dies natürlich nicht wisse, aber die relevanten Methoden seien letztlich im Journal of Microscopy publiziert worden, welches lediglich einen durchschnittlichen IF habe.

    Schlusswort von François Bussy

    Der Vizerektor Forschung der Universität Lausanne fasste die während des Tages diskutierten Fragestellungen und Themen sehr gut zusammen:

    • Green OA: Probleme mit den Embargos und Compliance
    • Gold OA: Sind APCs das beste Geschäftsmodell? Wenn Platinum OA ideal ist, wer bezahlt es?
    • Forschende sollten umbedingt mit einbezogen werden. Die grundsätzliche Zustimmung zu OA (90%), muss auch bei der Umsetzung sichergestellt sein.
    • Spannungsfeld zwischen Freiheit und Anreize/Zwang. Bussy verweist auf die kürzlich erschienene Auswertung von Funder-Mandates. Die Deadlines des SNF und swissuniversities helfe die OA-Diskussion in Lausanne vorwärts zu bringen. Es braucht eben vielleicht schon auch Zwang, aber doch mit der Wahlmöglichkeit nach Green oder Gold.
    • Bussy findet Green Road nach wie vor wichtig und schlägt ein Moratorium vor 5-10 Jahren vor.
    • Verlagerung von Abo-Kosten nach Gold OA
    • Transparenz bei den Kosten, insbesondere die Hybridzahlungen, die an der Bibliothek vorbeigehen.
    • Alternative Evaluationskriterien (auch global)
    • Weniger, aber besser Publizieren.

    Persönliches Fazit

    OA hat es in der Schweiz definitiv von der kleinen subversiven Bewegung zum Mainstream geschafft. Dies hat die Konferenz klar gezeigt.

    Grundsätzliche Kritik an OA war in Lausanne nicht zu hören. Nicht einmal von den traditionellen Verlagsvertreter (Elsevier, Springer Nature, Wiley, Kedos, Schulthess, Helbing, Peter Lang, Antipodes, Stämpfli, Karger), die gemäss Teilnehmerliste auch anwesend waren. Irritierenderweise war es einmal mehr Rafael Ball, der sich im Plenum besorgt um das finanzielle Wohlergehen der traditionellen Verlage zeigte und die Frage nach einer Kompensation aufwarf, müssten diese bei der Umstellung auf einen gewissen Teil der Einnahmen durch die Privatwirtschaft verzichten.

    Obwohl OA nun definitiv als wichtiges Ziel verankert ist, stellte sich mir nach der Konferenz einmal mehr die Frage, ob genügend Wille und Mut nach radikaler Veränderung vorhanden ist. Bereits zeichnet sich ab, dass man mangels Mut mit dem weiterfährt, wo man eigentlich schon seit 10 Jahren weiss, dass es eben NICHT die gewünschte Änderung zu OA bringt. Es fängt mit dem Einknicken gegenüber Springer Nature an, obwohl man hier ein klares Zeichen hätte setzen können. In Folge bedeutet dies das bekannte Spiel: Die fortwährenden Millionenzahlungen an den falschen Ort zementieren das Subskriptionsmodell und das Geld fehlt dann beim Finanzieren von Gold OA (in welcher Form auch immer). Wie absurd das inzwischen ist, zeigt sich zum Beispiel and der UZH, wo auch 15 Jahre nach der Gründung von PLOS, wo der jetztige Rektor Hengartner übrigens aktiv dabei war, es immer noch kein institutionelles verlags- und disziplinunabhängiges Funding für die Bezahlung von Gold OA wie PLOS oder eLife gibt.

    Bei Green OA wissen wir auch seit 10 Jahren, dass Sensibilsierungsmassnahmen und OA-Monitoring diesen Weg kaum effizierter machen. Was es braucht, ist eine Durchsetzung von oben, aber genau die will man offenbar genau bei swissuniversities (noch) nicht. Natürlich man kann jetzt noch auf das Zweitveröffentlichungsrecht hoffen. Aber wenn dies nicht kommt, wäre es für swissuniversities wohl doch der Punkt um sich zu überlegen, ob man nicht einen Gang hochschalten kann und sich Plan S anschliessen will.

    Update: 14.11.2018

    Die Videos sind nun auf der Konferenzseite verfügbar.

    3 Gedanken zu “Open Access Konferenz Schweiz 2018

    1. Seit 10 Jahren die gleichen oder ähnliche Argumente und Gegenargumente. Ähnliches habe ich schon 2008 gehört / gelesen. Das einzige was ändert ist die Jahreszahl, bis wann OA erreicht werden soll. Die Welt der Wissenschaft kommt in gewissen Bereichen nicht vom Fleck oder nur sehr langsam.

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