Der Schweizer 57 Mio EUR Elsevier Deal

Das Read & Publish Agreement von swissuniversities mit Elsevier gilt für Publikationen, die ab dem 1. Januar 2020 bei Elsevier eingereicht werden. Allerdings wurde erst Ende Mai 2020 der Vertrag und die Liste der relevanten Journals offiziell kommuniziert.

Big-Deal mit einem OA-Addendum

Der Vertrag liest sich zunächst wie ein klassischer Big-Deal für Journal Subskriptionen. Die Schweizer Hochschulen gönnen sich einmal mehr für 4 Jahre Zugriff auf das gesamte Journal-Portfolio von Elsevier. In einem Addendum von anderthalb Seiten wird schliesslich der neue Workflow für OA-Publikationen beschrieben.

1.5 Seiten OA-Bedingungen

Demnach können alle AutorInnen der teilnehmenden Institutionen (Sämtliche Schweizer Hochschulen, sowie Agroscope, FIBL, Uni Liechtenstein und Schweizer Vogelwarte) im Hybrid und Gold OA Programm von Elsevier Open Access publizieren:

JahrAnzahl APCs inbegriffenPreis R&PPAR-fee*
20202850 APCs13.8 Mio EUR4842 EUR
20213000 APCs14.1 Mio EUR4692 EUR
20223150 APCs14.4 Mio EUR4558 EUR
2023Unlimitiert (All you can publish)14.6 Mio EUR?
* Die PAR-fee (Read and Publishing fee) ist ein sehr grober Indikator, der zeigt wieviel Geld für die APC und dem noch bestehenden Lesezugriff pro Artikel ausgegeben wird (in Deutschland ist die PAR-fee bei Wiley beispielsweise 2750 EUR)

In den ersten drei Jahren, ist eine bestimmte Anzahl Artikel (APC’s) inbegriffen. Wird in einem Jahr weniger publiziert als vereinbart, verfällt das Kontingent. Wird mehr publiziert als vereinbart, werden die AutorInnen von Elsevier bei der Einreichung darauf hingewiesen und können dann entscheiden ob sie die Standard-APC für Hybrid oder Gold OA des jeweiligen Journals ausserhalb des Agreements zusätzlich bezahlen wollen.

Kontingent wird 2020 kaum ausgeschöpft werden.

Für das Jahr 2020 und dem Preis von 13.8 Mio EUR steht den Hochschulen ein Kontingent von 2850 APCs zu Verfügung.

Wieviele Publikationen bereits durch das Agreement veröffentlicht worden sind, lässt sich anhand von Metadaten bei Elsevier herausfinden (Najko Jahn 2019).

Demnach wurden bislang knapp 400 Publikationen unter dem neuen Agreement Open Access veröffentlicht.

Selbst wenn man berücksichtigt, dass nicht das Publikationsdatum, sondern das Einreichedatum relevant ist und deshalb die Publikationen von 2020 erst mit einer zeitlichen Verzögerung bis ins Jahr 2021 hinein sichtbar werden, ist diese Zahl überraschend tief. Mit etwa 30 Publikationen pro Woche wird man kaum in den Bereich gelangen, das Kontingent auszuschöpfen.

Pro Woche werden zwischen 20 und 30 Schweizer OA Artikel als Teil des Agreements publiziert.

Zu viele Papers sind nicht im Agreement

Wie die Gegenprobe zeigt, werden aktuell viele Artikel der involvierten Institutionen nicht über das Agreement veröffentlicht. Ich komme auf knapp 400 Corresponding Author-Papers. 75% sind in Journals publiziert, die auf der Liste des Agreement sind. Beschränkt man sich auf den Artikel-Typ „Full-length Papers“ sind zurzeit 169 Papers Closed Access, bei denen ich erwartet hätte, sie würden unter das Agreement fallen.

Entweder lehnen die Hochschulen viele Eingaben ab, oder die Papers werden von Elsevier gar nicht für das Agreement identifiziert und vorgeschlagen.

Desweiteren gibt es noch über 650 Papers, bei denen ein „Schweizer“ Co-Author, aber eben nicht Corresponding-Author ist. Diese Papers sind vom Agreement ausgeschlossen.

Insgesamt muss man deshalb konstatieren, das von den mindestens 1450 „Schweizer“ Papers, die seit 1.1.2020 bei Elsevier eingereicht und publiziert wurden, nur gerade 27% durch das neue Read & Publish Agreement frei zugänglich geworden sind.

Mirror Journals

Über das Agreement wurden bereits auch 10 Artikel in den sogenannten Mirror Journals publiziert. Hier hätte swissuniversities gut getan zu vereinbaren, dass Schweizer Corresponding Papers im Original-Journal, und nicht im Abklatsch-Journal landen. Hier ist man der dreisten Strategie von Elsevier, den Wechsel zu OA zu verzögern, einmal mehr voll auf den Leim gegangen.

Double Dip: Hybrid + Agreement

Auch gibt es Fälle bei dem die Hybrid Kosten nicht über das Agreement, sondern sehr wahrscheinlich über eine zusätzliche Rechnung an das Institut bezahlt wurde. Bestätigt weiss ich das von diesem Beispiel: http://doi.org/d6gt

Wenn nun das Kontingent nicht regulär ausgeschöpft wird, sind solche Fälle von Doppelzahlung, als die neue Art von Double Dip besonders ärgerlich.

Nur 42% CC-BY

Als grober Designfehler zeigt sich auch, dass man nicht zentral definiert hat, dass Artikel die über das Agreement veröffentlicht werden, immer eine CC-BY Lizenz haben. In dem man diese Wahl den AutorInnen überlässt, haben nun 58% der OA Artikel die Lizenz CC-BY-NC-ND, welche bekanntlich nicht mit der Berliner Erklärung kompatibel ist, die ja von swissuniversities, bzw. den einzelnen Hochschulen unterzeichnet wurde.

58% der AutorInnen wählen eine CC-BY-NC-ND Lizenz

Keine Qualitätsvorgaben

Ärgerlich ist auch, dass man es bei swissuniversities versäumt hat, klare Vorgaben hinsichtlich Qualität zu setzen. Sei das inhaltlich (z.B. Transparenz beim Peer-Review bzw. die Veröffentlichung von Peer-Review Reports) noch formal, wie z.B. die Ausgabe von vollständigen Metadaten. Elsevier verweigert ja bewusst, die Ausgabe von Zitationsdaten via Crossref. Ebenfalls liefert Elsevier keine Affiliations oder Abstracts an Crossref.

Halbherzige Transparenz

Und dann ist da noch das leidige Thema Transparenz. Zwar wurde der Vertragstext in weiten Teilen zugänglich gemacht, aber ausgerechnet bei den Kosten pro Institution, entschied man sich wieder intransparent zu bleiben:

Ungeachtet klarer früherer Entscheide, verweigern viele Hochschulen auf meine Anfragen die Auskunft. Dabei wird häufig unkritisch die Argumentation von Elsevier übernommen:

Anstatt mit 10 Minuten Aufwand Transparenz zu schaffen, sind sich viele Hochschulen (z.B. PHZH, ZHAW, UZH, UniFR, ZHDK, Lib4RI) nicht zu schade, sich selbst, mich und die Rekursinstanzen zu beschäftigen, indem sie die Ausgaben auf Anfrage nicht bekanntgeben und aussichtslose Verfahren provozieren. Immerhin gibt es doch auch einige Institutionen (z.B. UniSG, ETHZ, Agroscope, EPFL) die das Transparenzbedürfnis der Öffentlichkeit gegenüber den rein kommerziellen Interessen noch richtig abwägen können und die Zahlen nach langer Bearbeitungszeit bekannt gegeben haben.

Fazit

Wer diesen Blog seit längerem verfolgt weiss, dass ich mich in der Vergangenheit mehrfach für Read & Publish Agreements als realistischen Weg zu Open Access ausgesprochen habe (z.B. hier oder hier).

Dass meine damalige Forderung nun endlich umgesetzt wurde, stimmt mich leider nur halbwegs zufrieden. Das Agreement kommt viel zu spät und nun in einem Umfeld, bei dem sich die Parameter bereits wieder stark geändert haben (z.B. Sci-Hub, PlanS, Elsevier Abbestellung Deutschland).

Dem Agreement merkt man leider an wie es entstanden ist. Man hat sich viel zu lange von Elsevier hinhalten lassen, um dann kurz vor Ende 2019 zu etwas Halbgarem zuzustimmen, weil man nicht den Mut hatte neben Springer Nature auch Elsevier eine Abfuhr zu erteilen.

Besonders störend ist die Tatsache, dass man hier gleich einen 4-Jahres-Vertrag abgeschlossen hat. Hätte man nicht besser mit einem 1-2 Jahres-Vertrag anfangen können um Erfahrungen zu sammeln und Fehlentwicklungen, wie sie sich bereits abzeichnen noch korrigieren zu können? Nun hat man für vier Jahre alle Trümpfe aus der Hand gegeben und muss vielleicht auch noch bald Werbung für Hybrid-OA bei Elsevier machen, wenn sich die Publikationszahlen nicht so entwickeln, wie man dies antizipiert hat. Dabei wäre es ja eigentlich erstrebenswert, wenn weniger Schweizer AutorInnen in Hybrid-Journals von Elsevier, sondern in richtigen Open Access Journals publizieren. Das Signal welches dieses Agreement für richtige Gold Open Access Verlage aussendet ist zudem fatal. Ohne öffentliche Ausschreibung wird Elsevier ein Mega-Auftrag zugeschanzt, während man diejenigen Verlage, die sich seit Jahren tatsächlich um OA bemühen und dies auch günstiger liefern können, links liegen lässt.

Mit einer PAR Fee von über 4500 EUR ist man zudem auf einem bereits extrem hohen Preisniveau, das einmal mehr eindrücklich zeigt, dass OA in der Schweiz nicht am Geld scheitert.

Man hat sich nun mit dem Geld 30% OA bei Elsevier gekauft. Für die 100% die swissuniversities bis 2024 erreichen will, muss aber noch sehr viel passieren.

4 Gedanken zu “Der Schweizer 57 Mio EUR Elsevier Deal

  1. Lieber Christian, vielen Dank, sehr interessant. Eine Ergänzung zum Abschnitt „Zu Viele Papers sind nicht im Agreement“ habe ich noch: Bei DEAL in D kommt es vor, dass Autor*innen sich absichtlich (größtenteils wegen missverständlichen Workflows) gegen hybrid OA entscheiden. Besteht diese Möglichkeit bei Elsevier in CH nicht auch? Wenn nicht, wäre ggf. der Workflow besser. Wenn doch, wäre interessant warum Autor*innen sich dagegen entscheiden – vllt. wegen des Workflows oder auch anderer Gründe….

  2. Pingback: Deux cas pratiques d’accords transformatifs en Suisse – [S.l.] : [s.n.], [s.d.]

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