Der Schweizer 57 Mio EUR Elsevier Deal

Das Read & Publish Agreement von swissuniversities mit Elsevier gilt für Publikationen, die ab dem 1. Januar 2020 bei Elsevier eingereicht werden. Allerdings wurde erst Ende Mai 2020 der Vertrag und die Liste der relevanten Journals offiziell kommuniziert.

Big-Deal mit einem OA-Addendum

Der Vertrag liest sich zunächst wie ein klassischer Big-Deal für Journal Subskriptionen. Die Schweizer Hochschulen gönnen sich einmal mehr für 4 Jahre Zugriff auf das gesamte Journal-Portfolio von Elsevier. In einem Addendum von anderthalb Seiten wird schliesslich der neue Workflow für OA-Publikationen beschrieben.

1.5 Seiten OA-Bedingungen

Demnach können alle AutorInnen der teilnehmenden Institutionen (Sämtliche Schweizer Hochschulen, sowie Agroscope, FIBL, Uni Liechtenstein und Schweizer Vogelwarte) im Hybrid und Gold OA Programm von Elsevier Open Access publizieren:

JahrAnzahl APCs inbegriffenPreis R&PPAR-fee*
20202850 APCs13.8 Mio EUR4842 EUR
20213000 APCs14.1 Mio EUR4692 EUR
20223150 APCs14.4 Mio EUR4558 EUR
2023Unlimitiert (All you can publish)14.6 Mio EUR?
* Die PAR-fee (Read and Publishing fee) ist ein sehr grober Indikator, der zeigt wieviel Geld für die APC und dem noch bestehenden Lesezugriff pro Artikel ausgegeben wird (in Deutschland ist die PAR-fee bei Wiley beispielsweise 2750 EUR)

In den ersten drei Jahren, ist eine bestimmte Anzahl Artikel (APC’s) inbegriffen. Wird in einem Jahr weniger publiziert als vereinbart, verfällt das Kontingent. Wird mehr publiziert als vereinbart, werden die AutorInnen von Elsevier bei der Einreichung darauf hingewiesen und können dann entscheiden ob sie die Standard-APC für Hybrid oder Gold OA des jeweiligen Journals ausserhalb des Agreements zusätzlich bezahlen wollen.

Kontingent wird 2020 kaum ausgeschöpft werden.

Für das Jahr 2020 und dem Preis von 13.8 Mio EUR steht den Hochschulen ein Kontingent von 2850 APCs zu Verfügung.

Wieviele Publikationen bereits durch das Agreement veröffentlicht worden sind, lässt sich anhand von Metadaten bei Elsevier herausfinden (Najko Jahn 2019).

Demnach wurden bislang knapp 400 Publikationen unter dem neuen Agreement Open Access veröffentlicht.

Selbst wenn man berücksichtigt, dass nicht das Publikationsdatum, sondern das Einreichedatum relevant ist und deshalb die Publikationen von 2020 erst mit einer zeitlichen Verzögerung bis ins Jahr 2021 hinein sichtbar werden, ist diese Zahl überraschend tief. Mit etwa 30 Publikationen pro Woche wird man kaum in den Bereich gelangen, das Kontingent auszuschöpfen.

Pro Woche werden zwischen 20 und 30 Schweizer OA Artikel als Teil des Agreements publiziert.

Zu viele Papers sind nicht im Agreement

Wie die Gegenprobe zeigt, werden aktuell viele Artikel der involvierten Institutionen nicht über das Agreement veröffentlicht. Ich komme auf knapp 400 Corresponding Author-Papers. 75% sind in Journals publiziert, die auf der Liste des Agreement sind. Beschränkt man sich auf den Artikel-Typ „Full-length Papers“ sind zurzeit 169 Papers Closed Access, bei denen ich erwartet hätte, sie würden unter das Agreement fallen.

Entweder lehnen die Hochschulen viele Eingaben ab, oder die Papers werden von Elsevier gar nicht für das Agreement identifiziert und vorgeschlagen.

Desweiteren gibt es noch über 650 Papers, bei denen ein „Schweizer“ Co-Author, aber eben nicht Corresponding-Author ist. Diese Papers sind vom Agreement ausgeschlossen.

Insgesamt muss man deshalb konstatieren, das von den mindestens 1450 „Schweizer“ Papers, die seit 1.1.2020 bei Elsevier eingereicht und publiziert wurden, nur gerade 27% durch das neue Read & Publish Agreement frei zugänglich geworden sind.

Mirror Journals

Über das Agreement wurden bereits auch 10 Artikel in den sogenannten Mirror Journals publiziert. Hier hätte swissuniversities gut getan zu vereinbaren, dass Schweizer Corresponding Papers im Original-Journal, und nicht im Abklatsch-Journal landen. Hier ist man der dreisten Strategie von Elsevier, den Wechsel zu OA zu verzögern, einmal mehr voll auf den Leim gegangen.

Double Dip: Hybrid + Agreement

Auch gibt es Fälle bei dem die Hybrid Kosten nicht über das Agreement, sondern sehr wahrscheinlich über eine zusätzliche Rechnung an das Institut bezahlt wurde. Bestätigt weiss ich das von diesem Beispiel: http://doi.org/d6gt

Wenn nun das Kontingent nicht regulär ausgeschöpft wird, sind solche Fälle von Doppelzahlung, als die neue Art von Double Dip besonders ärgerlich.

Nur 42% CC-BY

Als grober Designfehler zeigt sich auch, dass man nicht zentral definiert hat, dass Artikel die über das Agreement veröffentlicht werden, immer eine CC-BY Lizenz haben. In dem man diese Wahl den AutorInnen überlässt, haben nun 58% der OA Artikel die Lizenz CC-BY-NC-ND, welche bekanntlich nicht mit der Berliner Erklärung kompatibel ist, die ja von swissuniversities, bzw. den einzelnen Hochschulen unterzeichnet wurde.

58% der AutorInnen wählen eine CC-BY-NC-ND Lizenz

Keine Qualitätsvorgaben

Ärgerlich ist auch, dass man es bei swissuniversities versäumt hat, klare Vorgaben hinsichtlich Qualität zu setzen. Sei das inhaltlich (z.B. Transparenz beim Peer-Review bzw. die Veröffentlichung von Peer-Review Reports) noch formal, wie z.B. die Ausgabe von vollständigen Metadaten. Elsevier verweigert ja bewusst, die Ausgabe von Zitationsdaten via Crossref. Ebenfalls liefert Elsevier keine Affiliations oder Abstracts an Crossref.

Halbherzige Transparenz

Und dann ist da noch das leidige Thema Transparenz. Zwar wurde der Vertragstext in weiten Teilen zugänglich gemacht, aber ausgerechnet bei den Kosten pro Institution, entschied man sich wieder intransparent zu bleiben:

Ungeachtet klarer früherer Entscheide, verweigern viele Hochschulen auf meine Anfragen die Auskunft. Dabei wird häufig unkritisch die Argumentation von Elsevier übernommen:

Anstatt mit 10 Minuten Aufwand Transparenz zu schaffen, sind sich viele Hochschulen (z.B. PHZH, ZHAW, UZH, UniFR, ZHDK, Lib4RI) nicht zu schade, sich selbst, mich und die Rekursinstanzen zu beschäftigen, indem sie die Ausgaben auf Anfrage nicht bekanntgeben und aussichtslose Verfahren provozieren. Immerhin gibt es doch auch einige Institutionen (z.B. UniSG, ETHZ, Agroscope, EPFL) die das Transparenzbedürfnis der Öffentlichkeit gegenüber den rein kommerziellen Interessen noch richtig abwägen können und die Zahlen nach langer Bearbeitungszeit bekannt gegeben haben.

Fazit

Wer diesen Blog seit längerem verfolgt weiss, dass ich mich in der Vergangenheit mehrfach für Read & Publish Agreements als realistischen Weg zu Open Access ausgesprochen habe (z.B. hier oder hier).

Dass meine damalige Forderung nun endlich umgesetzt wurde, stimmt mich leider nur halbwegs zufrieden. Das Agreement kommt viel zu spät und nun in einem Umfeld, bei dem sich die Parameter bereits wieder stark geändert haben (z.B. Sci-Hub, PlanS, Elsevier Abbestellung Deutschland).

Dem Agreement merkt man leider an wie es entstanden ist. Man hat sich viel zu lange von Elsevier hinhalten lassen, um dann kurz vor Ende 2019 zu etwas Halbgarem zuzustimmen, weil man nicht den Mut hatte neben Springer Nature auch Elsevier eine Abfuhr zu erteilen.

Besonders störend ist die Tatsache, dass man hier gleich einen 4-Jahres-Vertrag abgeschlossen hat. Hätte man nicht besser mit einem 1-2 Jahres-Vertrag anfangen können um Erfahrungen zu sammeln und Fehlentwicklungen, wie sie sich bereits abzeichnen noch korrigieren zu können? Nun hat man für vier Jahre alle Trümpfe aus der Hand gegeben und muss vielleicht auch noch bald Werbung für Hybrid-OA bei Elsevier machen, wenn sich die Publikationszahlen nicht so entwickeln, wie man dies antizipiert hat. Dabei wäre es ja eigentlich erstrebenswert, wenn weniger Schweizer AutorInnen in Hybrid-Journals von Elsevier, sondern in richtigen Open Access Journals publizieren. Das Signal welches dieses Agreement für richtige Gold Open Access Verlage aussendet ist zudem fatal. Ohne öffentliche Ausschreibung wird Elsevier ein Mega-Auftrag zugeschanzt, während man diejenigen Verlage, die sich seit Jahren tatsächlich um OA bemühen und dies auch günstiger liefern können, links liegen lässt.

Mit einer PAR Fee von über 4500 EUR ist man zudem auf einem bereits extrem hohen Preisniveau, das einmal mehr eindrücklich zeigt, dass OA in der Schweiz nicht am Geld scheitert.

Man hat sich nun mit dem Geld 30% OA bei Elsevier gekauft. Für die 100% die swissuniversities bis 2024 erreichen will, muss aber noch sehr viel passieren.

Schweizer RSC Read-and-Publish-Agreement nun teilweise öffentlich

Nach dem Einreichen einer Rechtsverzögerungsbeschwerde ist die Universität Zürich endlich in die Gänge gekommen und legt nach einem Jahr (!) seit meiner Anfrage, endlich eine erste Version des 32-seitigen RSC-Vertrag mit einigen Schwärzungen offen.

Zurück auf Start – Preise sind nun wieder Geschäftsgeheimnisse

Die meisten Schwärzungen sind mit ihrer Begründung verständlich und akzeptierbar. Doch ausgerechnet bei den Preisen der einzelnen Institutionen, stellen sich nun wieder die Bibliotheken quer:

Nur Abos: Lib4Ri, Uni Fribourg und Fachhochschulen
Read & Publish: ETHZ, Universitäten Basel, Zürich, Genf, Bern

Die UZH schreibt in ihrer Begründung trotzig:

Mit der Offenlegung des zu zahlenden Gesamtbetrages wird dem Öffentlichkeitsprinzip ausreichend Rechnung getragen.

Natürlich tut es das nicht. Bei der ETHZ, Lib4RI und den Universitäten Bern, Genf, Fribourg, Zürich ist durch vergangene Rechtsentscheide klar, dass die Endpreise pro Institution offengelegt werden müssen. Von Bern habe ich die Zahlen inzwischen via direkter Anfrage auch erhalten. Einzige Ausnahme ist die Universität Basel, bei dem das durch das Bundesgericht gestützte Urteil des Appellationsgericht Basel-Stadt von 2016 diese Offenlegung bei Elsevier, Wiley und Springer verneinte.

Vermutlich stellt gerade die Anomalie der UB Basel die anderen Bibliotheken und die UZH vor ein Dilemma. Legen sie ihre Preise rechtskonform offen, wird indirekt wegen der vorliegender Darstellung auch bekannt, was die UB Basel bezahlt. Dadurch wird offensichtlich, dass sich die Gerichte in Basel die Konsequenzen einer Offenlegung völlig falsch eingeschätzt haben. Doch wer ist bereit dies offen zuzugeben und zu korrigieren?

Immerhin gab es vor kurzem in sui generis eine Auseinandersetzung zum Bundesgerichtsurteil im Falle Basel, die zum Ergebnis kommt, dass daraus hinsichtlich der Rechtsprechung beim BGÖ nichts abzuleiten sei.

Verhältnis zwischen Read & Publish ein Geschäftsgeheimnis?

Ein anderer Teil der Schwärzungen wurde wegen RSC vorgenommen. RSC wehrt sich gegen die Bekanntgabe des Verhältnis zwischen Read and Publish am Total der einzelnen Institutionen:

Mit Bekanntgabe der einzelnen Kostenpositionen wäre die Preiskalkulation des RSC-Verlages nachvollziehbar. Dies hätte zur Folge, dass das Preis-Leistungsverhältnis ableitbar ist und Rückschlüsse auf die Preis- und Rabattpolitik des RSC-Verlages möglich sind. Dies kann zu einem Wettbewerbsnachteil führen. Angaben zur Preiskalkulation fallen unter das Geschäftsgeheimnis. Die Offenbarung dieser Tatsache ist geeignet, die Stellung im Wettbewerb zu verschlechtern.

Ob es sich bei den einzelnen Spalten von Publish und Read tatsächlich um berechtigte Geschäftsgeheimnisse von RSC handelt, wird nun in einem weiteren Verfahrensschritt die Rekurskommission der Zürcher Hochschulen beantworten müssen.

Ich finde es absurd von einem Wettbewerb und folglich von einem Wettbewerbsnachteil zu sprechen, wenn man weiss, dass RSC den 816k CHF Auftrag vom Konsortium freihändig und ohne Ausschreibung erhalten hat. Im Gegenteil. Die Verknüpfung von Read and Publish stellt vielmehr selbst eine Wettbewerbsverzerrung statt, die OA-Verlage von einem möglichen Wettbewerb von Publikationsdienstleistungen ausschliesst. Der Vorwurf, dass solche Read-and-Publish Agreements gegen das Beschaffungsrecht verstossen könnten, würde eine genauere Untersuchung verdienen.

Schweizer „Read and Publish“-Vertrag mit RSC soll vollständig geheim bleiben

Als Michael Hengartner, Präsident swissuniversities und Rektor der Universität Zürich an der Open Access Konferenz Schweiz 2018 gefragt wurde, ob er im Sinne von Open Access auch die kommenden Verträge mit Elsevier und Springer öffentlich machen wird, war seine Antwort ganz klar ja.

Schliesslich ist diese Transparenz seit längerem erklärtes Ziel von Swissuniversities für die aktuellen Verhandlungen mit Elsevier, SpringerNature und Wiley:

3. Transparenz der Lizenzverträge
Die Lizenzverträge werden aus öffentlichen Geldern bezahlt. Deren Inhalte sollten entsprechend ebenfalls öffentlich zugänglich sein. Gesellschaftlich werden Vertraulichkeitsklauseln nicht mehr akzeptiert.

Factsheet zur Verhandlungsstrategie von swissuniversities, 15.3.2018

Während für diese drei Verlage noch keine neuen Vereinbarungen vorliegen, wurde im Februar 2019 ein erstes „Read und Publish“-Agreement mit RSC verkündet.

Beiläufig war zu erfahren, dass mit dem Verlag wieder Geheimhaltungsvereinbarungen eingangen wurden.

Also verlangte ich bei der Hauptbibliothek der Universität Zürich Einsicht in den Vertrag. Gemäss Zürcher Öffentlichkeitsgesetz müsste eine solche Anfrage innerhalb von 30 Tagen beantwortet werden. Doch die UZH tat sich offenbar sehr schwer mit der angeblich „zeitintensiven“ Anfrage, so dass ich die Antwort erst 120 Tage später erhalten habe.

Die Universität Zürich lehnt mein Gesuch ab und weigert sich sogar den Vertrag nur teilweise zugänglich zu machen.

Würde sie den Vertrag zugänglich machen, würde die Beziehungen zu den Kantonen der Vertragspartner beeinträchtigt. Ebenfalls habe sich RSC in seiner Stellungnahme gegen die Veröffentlichung von Vertragsstellen ausgesprochen die sich die Kosten/Preiskalkulationen beziehen.

Die Bekanntmachung des RSC-Vertrages kann zu einer Wettbewerbsverzerrung führen bzw. den Marktvorteil von RSC – als einer der ersten Verlage ein neues, zukunftsorientiertes Geschäftsmodell entwickelt zu haben – einschränken.

Insgesamt ist der Antwort leider nicht zu erkennen, dass eine sorgfältige Prüfung der rechtlichen Situation erfolgt ist. Ich werde den Entscheid bei der Rekurskommission der Zürcher Hochschulen anfechten.


Wer meine Anstrengungen finanziell unterstützen möchte:

  • CH31 0840 1016 8467 8040 6 – Christian Gutknecht, Blumensteinstrasse 17, 3012 Bern

Elsevier blockiert Open Access – schwedisches Konsortium beendet Vertrag

Nachdem Elsevier nicht auf die Open-Access-Forderungen des schwedischen Konsortiums eingegangen ist, hat das Konsortium beschlossen, den Elsevier-Vertrag nicht fortzusetzen. Forscher/innen in Schweden verlieren den unmittelbaren institutionellen Zugriff auf neue Elsevier-Inhalte. Die Open-Access-Forderungen in Schweden ähneln denen des deutschen DEAL-Projekts.

Bis 2026 möchte Schweden kompletten und unmittelbaren freien Zugang zu Forschungspublikationen erhalten. Dazu wird in nationalen Konsortialverhandlungen auf eine Open-Access-Transformation gedrängt. Das schwedische Konsortium Bibsam hat in den Verhandlungen mit Elsevier folgende Ziele verfolgt:

  • unmittelbaren Open Access zu den Publikationen zugehöriger Autor/innen (aus den teilnehmenden Institutionen) in Elsevier-Zeitschriften („publish“)
  • lesenden Zugriff für alle zugehörigen Wissenschaftler/innen auf alle Elsevier-Zeitschrifteninhalte („read“)
  • ein nachhaltiges Kostenmodell

Die Ziele entsprechen denen, die im deutschen DEAL-Projekt für die Verhandlungen mit Elsevier, Springer Nature und Wiley aufgestellt worden sind. Ähnlich wie in Deutschland hat Elsevier kein passendes Angebot unterbreitet, und das schwedische Konsortium wird nun den Vertrag nicht erneuern (Pressemitteilung).

Einige Punkte sind besonders interessant:

  • Es ist ein weiterer nationaler Elsevier-Vertrag, der platzt. Eine SPARC-Seite verfolgt die gekündigten big deals, inklusive DEAL und vieler anderer Verträge. Unter den Verlagen, deren Open-Access-Angebote nicht ausreichten, findet sich auch Springer. In Frankreich gibt es kein neues Springer-Konsortium, und auch in Deutschland gibt es bisher nur Zwischenstände.
  • Ähnliche Forderungen in verschiedenen Konsortien/Ländern mögen am Ende helfen – ein Einwand von Verlagen ist häufig, dass keine gesonderten Modelle für einzelne Länder erstellt werden könnten.
  • Das schwedische Konsortium betont die Notwendigkeit nicht nur eines nachhaltigen Kostenmodells, sondern auch eines verlässlichen Monitorings – weil die Kosten („total cost of publication“) bereits jetzt zu stark und zu wenig transparent stiegen. Steigende Lizenzkosten und zusätzliche APC-Zahlungen für Open Access werden auch in Schweden als Problem gesehen.
  • Das schwedische Konsortium weist die Wissenschaftler/innen darauf hin, wie sie auch ohne Elsevier-Vertrag auf viele kommende Elsevier-Publikationen zugreifen können: durch automatische Tools, die Open-Access-Versionen finden, durch Anfragen an andere Kolleg/innen sowie per Fernleihe.

Die bisherigen Elsevier-Lizenzkosten lagen laut Meldung bei etwa 12 Millionen EUR pro Jahr, hinzu kamen 2017  1,3 Millionen EUR für Open-Access-Artikelkosten (APC). (Ein Teil dieser Kosten ist in der Open-APC-Datensammlung nachgewiesen bzw. im schwedischen Nachbau Open APC Sweden.)

Der ETH-Bereich und Elsevier: Teil 2

Nach dem ersten Teil über die unterschiedlichen Positionen der EPF Lausanne und der ETH Zürich bezüglich Elsevier-Verhandlungen, folgt hier der zweite Teil. Zur Rekonstruktion der Ereignisse dienen weitere über das Öffentlichkeitsgesetz befreite 65 Seiten Protokolle und Unterlagen des ETH-Rats.

ETH-Bereichssitzung vom 31.8.2011

Aus der letzten Bereichssitzung erging der Auftrag an die Bibliotheksdirektoren der ETHZ und der EPFL, mögliche Gutachter vorzuschlagen, welche eine Stellungnahme zum Thema Konsortium, bzw. zu den rechtlichen Möglichkeiten, bessere Konditionen zu erreichen, abgeben könnten. In der Bereichssitzung vom 31. August wurden nun drei Kandidaten präsentiert und akzeptiert. Im vom ETH-Rat erhaltenen Protokoll, sind Namen und Funktion geschwärzt.

Weiter war vorgesehen Verbindungen zu anderen Hochschulen insbesondere der University of California und dem MIT aufzunehmen.

Resultate Neubauer

ETH-Bibliotheksdirektor Neubauer hatte sich vorgenommen bei der California Digital Library und dem Boston Consortium nachzufragen. Nach einer anfänglichen Kontaktaufnahme, hatte es sich offenbar gezeigt, dass es nicht sinnvoll möglich ist, die Komplexität der Fragestellungen per Mail oder Telefon zu klären. Neubauer gibt bekannt direkt bei den Institutionen vorbeigehen zu wollen, weshalb sich die Berichterstattung um ein halbes Jahr verzögere.

Ebenfalls lässt er die Bereichssitzung wissen:

Bei allen Aktivitäten sollte man berücksichtigen, dass das Thema „Elsevier-Lizenzen“ vom Schweizer Konsortium verhandelt wird, der ETH-Bereich also nur einer der Mitspieler ist. Es dürfte somit sehr sinnvoll sein, dieses Faktum angemessen zu berücksichtigen. Bereits die Aktivitäten im letzten Herbst haben bei den anderen Beteiligten erhebliche Unruhe und Unverständnis ausgelöst.

Resultate Aymonin

Weitaus schneller mit den Abklärungen war der EPFL-Bibliotheksdirektor Aymonin. Er hatte am 19. Juli und 4. August Gespräche mit zwei Verhandlungleiter aus Belgien und dem französischen Konsortium geführt. In den Gesprächen ermittelte er die landesspezifischen Eigenheiten und Erfahrungen und hielt sie in einer Tabelle fest.

Im Fazit beim Punkt What to remember vermerkte Aymonin beim französischen Konsortium:

Don’t bother with price calculation formula or model, based on any sort of parameter. The only thing Elsevier wants is to keep its turn over. There is a margin in negotiation if you keep this in mind, and thus you can get more content or services for the same amount of money.

und bei Belgien:

Don’t bother with price calculation. The only thing Elsevier wants is to keep its turn over. Define very precisely what your objectives are and say clearly to Elsevier that you are ready to leave the table of negotiation at any time.

ETH-Bereichssitzung vom 2.11.2011

Die beiden Bibliotheksdirektoren der ETH und EPFL hatten mittlerweile einen 2-seitigen Fragenkatalog für mögliche externe Gutachter zusammengestellt. Ein paar Fragen daraus:

  • Confidentiality: Is this clause commonly accepted or should the Swiss Consortium insist on the removal of this clause? Has this clause often been removed in your experience?
  • How would you judge the possibility of perpetual access to the freedom collection? Would you expect additional costs for this?
  • Do you know of contracts in which an electronic interlibrary loan is allowed? Would you expect additional costs for this?
  • Open Access: Do you know of contracts which allow institutional archiving of the publisher’s version of the scientific papers? Would you expect additional costs for this?
  • The agreement defines a considerable amount in fees for the Swiss institutions with considerably high annual increases. According to your experience, are these fees and increases comparable to other contracts?
  • If conditions for other contracts are better, which at are the circumstances that result in better conditions? Do you think that Elsevier takes the economic situation in the various countries into account?
  • Is it helpful or even necessary to cancel subscriptions to Elsevier journals for some time to get better conditions? In your experience, how long does it take to get better conditions? Does this mean a constraint to scientific work at the institutions concerned? Are there any alternatives for the scientists to gain access to Elsevier content?
  • What would be your recommendations to the consortium to gain better conditions for the Elsevier agreement? Could a public statement like the one of RLUK be helpful in gaining better conditions – or might this even be counterproductive? lf helpful, who should initiate such a statement?

Am 3. Oktober 2011 verschickte der ETH-Rat dann offiziell die Anfragen an die drei potentiellen externen Gutachter. Doch nur eine Person war überhaupt bereit dem ETH-Rat zu antworten. Und diese eine Antwort ist wirklich bemerkenswert:

Dear Mrs Weber,

I’m a bit surprised by your request. You don’t make clear why you’re asking me for this purpose, nor what the request will imply in terms of expectations that you have with respect to my ‚advisory opinion‘. I’m not a consultant, but just another university librarian with some practical expertise in licensing scholarly contents. Librarians from European universities and consortia are as you may know connected (informally) by ICOLC (International Coalition of Library Consortia), which held her annual meeting just a few weeks ago in Istanbul. So I’m not intended to formulate an ‚offer for an advisory opinion‘ but I’m prepared to give my opinion and my advise as a colleague, as far as this can be done within reasonable limits of time spent etc. So I’m curious to have more information on the meaning and the ‚bandwith‘ of your request,

Best wishes,

ETH-Bereichssitzung vom 8.2.2012

Neben dem scheinbar fehlenden Interesse bei den angeschriebenen Experten, kam plötzlich noch ein anderes Problem dazu. Sollte der ETH-Rat ein Gutachten in Auftrag geben, bräuchten die Experten Einsicht in die Verträge des ETH-Bereichs mit Elsevier. Nun hatte das Konsortium aber dummerweise gerade in den abgeschlossenen Verträgen Vertraulichkeit mit Elsevier über den Vertragsinhalt vereinbart.

Um den Umfang dieser Vertraulichkeitsklauseln zu verstehen, wurde beim ETH-Rat eine rechtliche Einschätzung vorgenommen. Aus der Aktennotiz dieser Einschätzung wird erstmals deutlich, dass auf Stufe ETH-Rat und folglich Leitung Konsortium bereits seit Frühling 2011 bekannt war, dass andere Universitäten wie Cornell in ihren Verträgen keine Non-Disclosure Agreements mehr akzeptierten.

Auch bemerkenswert ist die Tatsache, dass sogar der ETH-Rat selbst überprüfte, ob allenfalls das BGÖ hilfreich sein könnte:

Das Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip hilft nicht weiter; ein privatrechtlicher Vertrag ist kein amtliches Dokument. Zudem geht es beim Öffentlichkeitsprinzip darum, Dritten Einsicht in amtliche Dokumente zu gewähren, und nicht darum, einem Vertragspartner zu erlauben, sich von einer durch ihn unterzeichneten Vertraulichkeitsklausel zu distanzieren.

Insgesamt lautete das Fazit der rechtlichen Einschätzung:

Von einer Weiterleitung des Konsortialvertrags an einen von den Institutionen vorgeschlagenen Experten ohne vorgängige schriftliche Einwilligung von Elsevier ist dringend abzuraten.

Also wurde nun versucht diese Einwilligung von Elsevier für die Weitergabe zu erhalten. Die Anfrage übernahm gleich der ETH-Ratspräsident. Er erhielt folgende Antwort von Elsevier:

We agree to the involvement of such an extenal expert but would like to suggest two stipulations: the expert will only use the confidential information tor ETH-internal purposes (for instance an internal report) and the expert will work with the Elsevier experts on the interpretation of the information. The latter we see as vital to avoid misunderstandings and to arrive at a balanced interpretation of the data
We have experienced that a joint approach leads to high-quality interpretation and reporting, all in all higher insights.

Diese Antwort blieb unbefriedigend. Während die Bedingung der rein internen Verwendung als unproblematisch angesehen wurde, konnte sich kein Mitglied der Bereichssitzung einverstanden erklären, die externen Gutachten einer Manipulation von Elsevier auszusetzen. Für das ursprüngliche Vorhaben externe Gutachten einzuholen bedeutete diese Antwort von Elsevier das Ende.

In der Zwischenzeit hatte Neubauer auch seinen Bericht über die Situation der University of California und dem dem Boston Consortium abgeschlossen und der Bereichssitzung vorgelegt. Der Bericht ist überraschend knapp. Die Anfrage beim Boston Consortium wird mit fünf Sätzen abgehandelt. Der letzte davon:

Die kooperative Lizenzierung elektronischer Inhalte ist nicht Teil der Konsortiumsarbeit, so dass von dort keine relevanten Informationen zu erhalten waren.

Etwas mehr Text wurde zur California Digital Library, der Infrastruktureinheit der University of California abgefasst. Hier ein paar ausgewählte Punkte daraus:

  • Die Lizenzverträge mit der überwiegenden Zahl der Lieferanten sind prinzipiell über die Homepage frei zugänglich, wobei allerdings rechtlich kritische Passagen gelöscht sind. Hierzu gehören beispielsweise alle finanzrelevanten Angaben. Beim Schweizer Konsortium sind die existierenden Verträge den Konsortialpartnern ebenfalls zugänglich.
  • Die einzelnen Lizenzverträge sind in weiten Teilen mit denen vergleichbar, die das Schweizer Konsortium abgeschlossen hat. Es gibt jedoch auch Unterschiede. So gestattet beispielsweise die American Chemical Society (ACS) das Verschicken elektronischer Kopien auch an externe Nutzer (soweit aus dem öffentlichen Raum); dies ist bei unseren Verträgen nicht der Fall, da ACS dies kategorisch ablehnt.
  • Das Procedere beim Vertragsabschluss ist mit der Schweizer Situation mehr oder weniger identisch. Es finden erste Verhandlungen mit dem jeweiligen Verlag/Lizenzgeber statt, die dann in unterschiedlicher Form an die Konsortialpartner zurückgespiegelt werden. Wer die Verhandlungen exakt führt, konnte im Falle der CDL nicht abschliessend eruiert werden. Nach meinem Eindruck wird dies sowohl von Einzelpersonen, als auch von kleinen Arbeitsgruppen (2-3 Personen) realisiert. In den deutschen Konsortien führen die Verhandlungen meist 1-2 Personen.
  • Belastbare Aussagen über die finanziellen Randbedingungen der einzelnen Verträge haben die befragten Personen nicht abgegeben. _______

Zusammenfassend hält Neubauer fest:

Die Befragungen haben aus meiner Sicht keine wesentlich neuen Erkenntnisse gebracht, sondern haben gezeigt, dass vor allem die international tätigen Verlage die Vertragsverhandlungen mit der Vorlage von weltweit standardisierten Vertragsentwürfen beginnen, über die dann unter Berücksichtigung der jeweiligen Randbedingungen verhandelt werden kann. Der nicht unbegründete Verdacht, dass die Schweiz schlechtere Konditionen als andere Länder hat, konnte nicht bestätigt werden. Nach meinem persönlichen Eindruck, sind darüber hinaus belastbare Vergleiche aufgrund der heterogenen Randbedingungen in jedem Falle schwierig. Die Verhandlungsprozesse und -ergebnisse des Konsortiums Schweizer Hochschulbibliotheken sind mit denen anderer Konsortien grundsätzlich vergleichbar, was im Einzelfall allerdings nicht ausschliesst, verbesserte Konditionen zu erreichen.

Es ist auffällig, wie der Bericht von Neubauer mit keinem Wort, den zu dieser Zeit noch recht frischen Konflikt zwischen der University of California (UC) und der Nature Publishing Group (NPG) erwähnte. Die UC ging da sehr wohl neue Wege bezüglich Verhandlungen. Sie stellte die geforderten Preiserhöhungen von NPG öffentlich an den Pranger und forderte ihre Forschenden auf, keine Papers mehr bei NPG zu veröffentlichen und von Aktiväten (Peer-Review, Editor) bei NPG zurückzutreten. Da dieser Streit durch die weltweite Fachwelt ging und mit Sicherheit ein markantes Ereignis in den Verhandlungen der UC darstellte, ist es sehr verwunderlich, dass Neubauer weder im Vorfeld noch im direkten Kontakt mit der CDL auf diesen Konflikt stiess, der für den ETH-Bereich durchaus als Anregung hätte dienen können.

Der dürftige Bericht von Neubauer wurde schliesslich ohne Beanstandung von der Bereichssitzung zu Kenntnis genommen. Aymonin, hatte zu diesem Zeitpunkt die EPFL Bibliothek bereits verlassen und Kritik war von dieser Seite vorerst nicht mehr zu erwarten.

Dennoch, für die ETH-Bereichssitzung und inbesondere für den ETH-Ratspräsident schien die Situation nicht wirklich zufriedenstellend. Ohne Expertise war es nicht gelungen, die Vorbehalte der EPFL gegenüber der abgeschlossenen Elsevier-Lizenz auszuräumen. Und dass der ETH-Bereich nicht einmal eine Expertise durchführen lassen konnte, dürfte der ETH-Bereichssitzung vorgeführt haben, dass die Kritik der EPFL durchaus angebracht war.

Bevor nun das Geschäft ganz ad acta gelegt wurde, erklärte sich der Präsident ETH-Rat bereit, einerseits mit einem Schreiben an das Konsortium Schweizer Universitätsbibliotheken zu gelangen mit dem Anliegen, im Hinblick auf die nächste Vertragslaufzeit (ab 2014) mit Elsevier vorteilhaftere Konditionen zu verhandeln, und andererseits in diesem Zusammenhang die Wettbewerbskommission (Weko) zu kontaktieren. Da dieses Vorgehen den Mitgliedern der Bereichssitzung zwar richtig, aber in der Wirkung etwas schwach erschien, wurde beschlossen, dass die Institutionen zusätzlich in der Öffentlichkeit die Situation transparent darlegen und darauf hinweisen sollten, dass der freie Zugang (open access) zu Daten und Forschungsresultaten nicht funktioniere und die Verlage (vorliegend Elsevier) aufgrund vertraglich vereinbarter Nutzungsrechte (zu) hohe Preise verlangten. Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, bedürfe es dazu des Zusammenwirkens verschiedener Partner (Konferenz der Rektoren der Universitäten Schweiz (CRUS), andere Universitäten, usw.). Ferner wurde vorgeschlagen, dass die Institutionen des ETH-Bereichs versuchen, Elsevier gegenüber eine stärkere Positionen einzunehmen, indem sie namentlich keine Reviews mehr für Elsevier verfassen bzw. weniger Elsevier-Produkte beschaffen.

ETH-Bereichssitzung vom 14.11.2012

Im November 2012 gab es dann die (vorerst) letzte Sitzung des ETH-Bereichs zum Thema Elsevier. Der Präsident ETH-Rat hatte in der Folge Kontakt mit der Weko aufgenommen. Ein entsprechendes Gespräch fand am 15.5.2012 statt und führte scheinbar zu keinen Ergebnissen.

Weiter brachte der Präsident ETH-Rat in einem Schreiben vom 6.6.2012 an den Präsidenten des Konsortiums folgende Grundanliegen des ETH-Bereichs an:

Ganz generell soll versucht werden, für die Bibliotheken vorteilhaftere Konditionen aushandeln, namentlich:

  • tiefere oder zumindest nicht noch höhere Preise;
  • Verzicht auf Vertraulichkeitsklauseln im Vertrag.

Spezifisch sollen im Sinne der im Fragenkatalog (vgl. Beilage 3) aufgelisteten Punkte verbesserte Bedingungen erreicht werden, indem beispielsweise den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Universitäten/Hochschulen vermehrt Rechnung getragen wird und ,,Produkte-Pakete“ mit Teilprodukten, welche im Einzelnen gar nicht benötigt werden (z.B. medizinische Literatur), abgelehnt werden.

Das Schreiben wurde dann im erweiterten Präsidium des Lenkungsauschusses des Konsortiums am 9.7.2012 behandelt. Der damalige Präsident, Heinz Dickenmann (HBZ) antwortete:

Wir werden die Grundanliegen der Bereichssitzung des ETH-Bereichs betreffend eines neuen Elsevier-Vertrags ab 2014 berücksichtigen; sie entsprechen den Forderungen, welche das Konsortium der Schweizer Hochschulbibliotheken von sich aus in die Vertragsverhandlungen einbringen wird. Ob diese am Schluss der Verhandlungen auch erzielt werden können, bleibt abzuwarten.

Dem Wunsch der EPFL nach vermehrtem Einbezug in die Vertragsverhandlungen können wir mit dem Vorschlag der Geschäftsstelle des Konsortiums zur Vorgehensweise weitgehend entsprechen (vgl. Beilage). Die Konsolidierung der geforderten Konditionen bei den grossen Verlagspaketen mittels Einbezug der Partnerbibliotheken im Konsortium einerseits und die Einsetzung einer separaten Arbeitsgruppe für die Vorbereitung eines neuen Elsevier-Vertrags anderseits sollten die wesentlichen Bedürfnisse der EPFL abdecken. Allerdings geht es dem Konsortium nicht allein um eine zusätzliche Berücksichtigung von Wünschen der EPFL allein, sondern um einen stärkeren Einbezug aller Partner im Konsortium. Beim Elsevier-Vertrag streben wir aufgrund der mehrfach als schwierig erfahrenen Gespräche mit diesem Verlag an, den Verhandlungsverlauf und die Verhandlungsergebnisse transparenter zu gestalten.

Wie wir heute wissen, ignorierte das Konsortium das Anliegen des Präsidenten ETH-Rat und akzeptierte auch auf für die Elsevier Lizenz 2014-2016 ohne spürbaren Widerstand die von Elsevier gewünschten Vertraulichkeitsklauseln.

Mit dem Hintergrund, dass die ETH-Bereichssitzung eine aktivere Kommunikation bezüglich Verlagspolitik und Open Access gegenüber der Öffentlichkeit gewünscht hatte, lässt sich nun auch endlich die seltsam distanzierte Kolumne „Open Access, ein Modell für die Zukunft?“ von Neubauer vom Oktober 2012 in ETH Life richtig einordnen. Neubauer schrieb dort nicht aus Überzeugung über Open Access, sondern weil er von oben dazu verknurrt wurde.

 

Der ETH-Bereich und Elsevier: Teil 1

Vor kurzem habe ich hier die Zahlungen des ETH-Bereichs (ETHZ, EPFL, Lib4RI) an Elsevier, Springer und Wiley veröffentlicht. Speziell der Beitrag zu den Zahlungen der ETHZ stiess auf sehr grosses Interesse. Trotz erster Antworten, wirft die Offenlegung gleich weitere Fragen auf:

  • Wieso wurden die Zahlungen des ETH-Bereichs seit 2010 nicht wie gesetzlich vorgeschrieben (Art 28, der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen) auf simap.ch deklariert?
  • Warum spendieren die Bibliotheken des ETH-Bereichs ausgerechnet denjenigen Verlagen immer mehr Geld, welche dem vom ETH-Bereich angestrebten freien Zugang zu Information aus reiner Profitgier entgegenstehen?
  • Warum setzt sich der ETH-Bereich mit seinem Anspruch weltweit führend zu sein, nicht stärker für eine finanziell nachhaltige Informationsinfrastruktur und für mehr Open Access ein? Eine weltweite Transformation zu Gold Open Access bietet dem ETH-Bereich ein gewaltiges Einsparpotential von mehreren Millionen Franken pro Jahr, von dem Nutzen für die Wissenschaft und Gesellschaft ganz zu schweigen.

Elsevier – 2010 bis 2012 Thema im ETH-Rat

Weitere über das Öffentlichkeitsgesetz befreite Dokumente zeigen nun, dass es in der Vergangenheit innerhalb des ETH-Bereichs auch schon Kritik an der passiven und ergebenen Haltung gegenüber den Verlagen gab. Die Kritik kam von der Bibliothek der EPFL und entbrannte sich an den Verhandlungen für die Elsevier Lizenz 2011-2013. Die Kritik am Vorgehen eskalierte Ende 2010 bis zum Präsidenten des ETH-Rats, dem obersten Organ des ETH-Bereichs und wurde anschliessend an mehreren ETH-Bereichssitzungen bis 2012 behandelt. Anhand der vom ETH-Rat erhaltenen Protokolle und Beilagen (für diesen ersten Teil 39 Seiten) versuche ich im Folgenden die Ereignisse so gut wie möglich zu rekonstruieren und zusammenzufassen.

Ausgangslage – KOBAR (Kooperation der Bibliotheksarbeit im ETH-Bereich)

Bereits seit 2001 wird im ETH Bereich nach Synergien und Kooperationsmöglichkeit bei den Bibliotheken gesucht. Aus einem ursprünglichen Projekt KOBAR (Kooperation der Bibliotheksarbeit im ETH-Bereich) entstand 2004 ein ständiges „Gefäss“, bei dem  Fragen bei der Zusammenarbeit zwischen den Bibliotheken angegangen wurden. Ein  strategisches Anliegen war es unter anderem, dass alle Forschenden des ETH-Bereichs über möglichst den gleichen Zugang zu wissenschaftlicher Information verfügen. Aufgrund dem kleinerem Bibliotheksbudget der EPFL, wurde dies zunehmend stärker vom der Bibliothek der EPFL bei der ETH-Bibliothek eingefordert, insbesondere was die elektronischen Medien betraf. Seit 2009 wurde vom ETH-Rat zudem verlangt, dass die Bibliotheken des ETH-Bereichs sich bei Lizenzierung gemeinsam absprechen. Dies brachte es mit sich, dass der damalige Leiter der ETH-Bibliothek, Wolfram Neubauer, der zugleich die Verwantwortung für das Schweizer Konsortium hatte, sich nun stärker mit seinem damaligen welschen Kollegen David Aymonin, Leiter der EPFL Bibliothek innerhalb des ETH-Bereichs absprechen musste. Und letzterer hatte bezüglich der Vorgehensweise bei den anstehenden Elsevier-Verhandlungen eine doch etwas andere Vorstellung, wie wir noch sehen werden.

ETH-Bereichssitzung vom 25.11.2009

An dieser ETH-Bereichssitzung wurde festgehalten, dass bezüglich Begleitung und Anliegen von KOBAR, also auch die Elsevier-Lizenz die ETH-Berreichssitzung und nicht der ETH-Rat zuständig sei. Hier ist vielleicht erklärend anzufügen, dass der ETH-Rat das vom Schweizerischen Bundesrat gewählte „politische“ Gremium ist (siehe aktuelle Mitglieder), während die ETH-Bereichssitzung eher die „verwaltungsinterne“ Führung ist. An der ETH-Bereichssitzung nehmen teil, die Präsidenten der ETHs, die Direktoren und Direktorinnen der Forschungsanstalten und der Präsident des ETH-Rats (siehe Geschäftsordnung des ETH-Rats).

An jener ETH-Bereichssitzung vom November 2009 wurde ebenfalls bestimmt, dass Neubauer das Mandat erhält, Verhandlungen für den gesamten ETH-Bereich zu führen. Deshalb wurden alle Institutionen des ETH-Bereichs gebeten ihre Bedürfnisse bezüglich elektronischen Publikationen bei Neubauer anzumelden.

ETH-Bereichssitzung vom 21.4.2010

Aymonin hatte inzwischen eine Stellungnahme an Neubauer geschickt. Es wurde von Seite EPFL gewünscht, dass die ETH-Bibliothek die Verhandlungen mit dem Hauptziel führen solle, ein einheitliches, standardisiertes Produkte-Portfolio für den gesamten ETH-Bereich (ETH Bereich = 1 Institution) zu erreichen. Weiter wurden konkrete Vorschläge betreffend der Vorgehensweise für die Verhandlungsführung mit Elsevier  (Konditionen und Tarife / Vorbereitung der Verhandlungsgespräche / Aufstellung einer Projektorganisation durch den ETH-Rat / zeitliche Vorgaben) gemacht.

In der Bereichssitzung wurde offenbar vorgeschlagen, dass hinsichtlich anstehender Elsevier-Verhandlungen zuerst versucht werden sollte, die Interessen des ETH-Bereichs bei den landesweiten Verhandlungen durch das Konsortium einzubringen. Für den Fall, dass die Neuverhandlungen durch das Konsortium der Schweizer Hochschulbibliotheken mit Elsevier nicht zum Erfolg führen, wird Neubauer beauftragt vorsorglich mit Elsevier eigene Vertragsverhandlungen für den ETH-Bereich zu führen.

ETH-Bereichssitzung vom 25.8.2010

Aktuell liegen mir für diese Bereichssitzung nur die beiden folgenden Beilagen von a) Neubauer und b) Aymonin vor. Was an der Sitzung diskutiert und effektiv beschlossen wurde ist unklar.

a) Zwischenbericht Elsevier Verhandlungen (Neubauer)

Neubauer lieferte einen knappen Zwischenbericht zu den im Mai 2010 gestarteten Elsevier-Verhandlungen ab. Elsevier hatte nach umfangreichen Abklärungen am 22.7.2010 dem Schweizer Konsortium ein erstes Angebot unterbreitet. Eckpunkte des für das gesamtschweizerisch einheitlichen Angebotes waren eine Laufzeit von drei Jahren, eine fixierte Preissteigerungsrate, die Möglichkeit eines Wechsels von „Print and Electronic“ auf „E-only“ und umgekehrt.

Am 3.8.2010 fand ein mündliches Verhandlungsgespräch mit Elsevier statt, bei dem das Angebot von Elsevier und die Forderungen des Konsortiums besprochen wurden. Die konkreten Forderungen des Konsortiums werden im Zwischenbereich leider nicht erwähnt, sondern es wird lediglich angegeben das sie von den Vorstellungen des Verlages erheblich abweichen. Was die Verhandlungsführer, abgesehen von der deutlichen Preissteigerung sonst noch am Angebot bemängelten, will der ETH-Rat mit Verweis auf „Gefährdung aktueller Verhandlungen“ nicht offenlegen:

Zwischenbericht_2010.jpg

In einem weiteren Gespräch zwischen Elsevier und dem Konsortium im September sollte nochmals geklärt werden, inwieweit sich die unterschiedlichen Standpunkte annähern lassen. Als einzigen Plan B erwähnt Neubauer lediglich die Aufnahmen von individuellen Verhandlungen der interessierten Hochschulen.

b) Kritik der EPFL (Aymonin)

Weitaus deutlicher war die Kritik von Aymonin. Er bezeichnete in einer Stellungnahme für die Bereichssitzung das vorliegende Angebot von Elsevier als überrissen, inakzeptabel und gefährlich für die Schweizer Hochschulen. Elsevier missbrauche seine Marktmacht und verlange insbesondere in der Schweiz mehr als in anderen vergleichbaren Ländern für den gleichen Service. Wie es scheint, führte Aymonin dazu in der Stellungnahme weitere Argumente an, welche diese Überteuerung unterstreichen. Diese Passage wurde jedoch vom ETH-Rat geschwärzt.

Weiter kristisierte Aymonin das Angebot von Elsevier bezüglich Intransparenz der Preise, den Ausschluss von Konsortialpartnern mit fadenscheinigen Begründungen vom gleichen Angebot, z.B. für Cell Press, die fehlenden Langzeitarchivierungsrechte, den Versuch von Elsevier den Kauf von Abonnementen an den zwingenden Kauf von Backfiles zu koppeln sowie Kollektivstrafen, falls ein Konsortialpartner aussteigen wird.

Insgesamt habe hier Elsevier verspätet ein unvollständiges Angebot unterbreitet, welches den Kundenbedürfnisse nicht entspreche und letztlich nur dazu führe, den Umsatz von Elsevier zu erhöhen und zusätzlich Zwietracht zwischen den Schweizer Bibliotheken schüre. Unter diesen Umständen sollte das Angebot aus Sicht der EPFL nicht angenommen werden.

Weiter schlug der Direktor der EPFL Bibliothek vor:

  • Der ETH-Rat solle die Geschäftspraktiken von Elsevier der Wettbewerbskommission melden, um zu überprüfen ob ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliege.
  • Der ETH-Rat solle eine Pressekampagne starten, worin die rücksichtslosen Geschäftspraktiken (überhöhte Preise, Preiserhöhungen, unzulässige Koppelung von Produkten) von Elsevier gegenüber der Schweizer Wissenschaftscommunity anprangert, um mit der Unterstützung der Forschenden des ETH-Bereichs ein Umdenken bei Elsevier anzuregen.
  • Weiter müsse man die Schaffung einer juristischen Einheit des ETH-Bereichs endlich in Angriff nehmen, um künftig geeint gegenüber Elsevier aufzutreten.

ETH-Bereichssitzung vom 3.11.2010

An der Bereichssitzung vom 3. November 2010 wurde festgehalten, dass die Situation trotz inzwischen erfolgter Fertigstellung des Konsortialvertrags nach wie vor unbefriedigend sei und kaum Fortschritte erzielt würden. Die Präsidenten der beiden ETHs äusserten den Wunsch, dass die konkreten Zahlen zu den Ausgaben für die elektronischen Bibliotheken im ganzen ETH-Bereich zusammengetragen und in einem Überblick zu Handen der Bereichssitzung dargestellt werden. Dies wurde getan:

Interventionsaufruf der EPFL beim ETH-Rat vom 16.12.2010

Am 16.12.2010 bat Aymonin mit einem Schreiben an den Präsidenten des ETH-Rats sofort zu intervenieren. Dieser leitete am 20.12.2010 das Schreiben an die Präsidenten der ETH, sowie den Direktoren und Direktorinnen der Forschungsanstalten weiter. Mit der Bitte, doch selbstständig zu prüfen, ob sie bereit seien das Risiko mit Elsevier einzugehen, und entsprechend die vorbereiteten Verträge zu unterzeichnen.

Der ETH-Ratspräsident Schiesser schrieb an Aymonin, dass es leider zeitlich nicht reiche direkt einzugreifen, er wolle das Thema jedoch als Traktandum zur nächsten ETH-Bereichssitzung für den 2.2.2011 aufnehmen.

Nun, was war geschehen?

ETH-Bereichssitzung vom 11.5.2011

a) Aussprachepapier mit Kritik der EPFL

Das Aussprachepapier mit der Kritik der EPFL als Vorbereitung für die ETH-Bereichssitzung vom 2.2.2011, die dann aber doch noch um 3 Monate verschoben wurde, gibt abgesehen von ein paar durch den ETH-Rat zensurierten Stellen (=______) Auskunft:

Seit Ende Juli 2010 sind der Zeitplan und die Vorgehensweise des Verlages bei den Verhandlungen nicht mehr tragbar:

  • Am 5. August 2010 hat das Konsortium von den Bibliotheken eine Stellungnahme zu den wichtigsten Linien des Angebots Elsevier bis zum 20. August verlangt, was mitten in der Sommerpause liegt, ohne weder Beträge noch Vertragsbedingungen der Lizenz zu kennen. Von den Bibliotheken wurde folglich eine Anzahl Kommentare und Änderungswünsche geäussert.
  • Am 16. September wurde klar, dass Elsevier alle Änderungswünsche der Bibliotheken zurückgewiesen hatte und es keine weitere Reaktion des Konsortiums gegeben hatte.
  • Es dauerte schliesslich bis zum 3. November, bis ein Kostenvoranschlag vorlag (der jedoch auf den 7. Oktober 2010 datiert war)
  • Am 10. November wurde der Kostenvoranschlag der vorigen Woche korrigiert, da er zahlreiche Fehler enthält.
  • Schliesslich dauerte es bis zum 21. Dezember, bis uns der komplette Lizenztext vorlag, der 10 Bibliotheken ______ betrifft!

Betreffs des korrigierten Kostenvoranschlags vom 10. November über die von jeder Bibliothek zu zahlende Gebühren für die neue gemeinsame Lizenz entdeckten wir hinsichtlich zu unserer grossen Überraschung, dass die Überführung von einzelnen Lizenzen zu einer gemeinsamen Lizenz mit den üblichen Anpassungen seitens Elsevier einherging, was uns zu folgenden Schlüssen führte:

  • Hinterfragung der Nützlichkeit von 5 oder 6 Monaten Verhandlungen
  • Hinterfragung des ganzen Sinns einer gemeinsamen Lizenz, da diese lediglich eine Vereinfachung für den Anbieter, jedoch Komplikationen für die Kundenbibliotheken darstellt.

Darüber hinaus wurden wir vom Konsortium aufgefordert, noch vor dem 19. November eine Stellungnahme hinsichtlich unserer Beteiligung an der Lizenz abzugeben, ohne zu diesem Zeitpunkt jedoch die Vertragsbedingungen, die mit dieser Lizenz verbunden sind, zu kennen.

Wir haben dem Konsortium am 24. November schriftlich mitgeteilt, dass wir zunächst die Endversion des Vertrages mit Elsevier sondieren wollten, um unsere Teilnahme an der gemeinsamen Lizenz definitiv zu bestätigen und haben gleichzeitig von Elsevier eine Fristverlängerung unserer aktuell vorhandenen Einzellizenzen bis zum Abschluss einer gemeinsamen Lizenz gefordert.

______ eigenmächtig, ohne vorherige Befragung oder Diskussion, am 1. Dezember beschlossen, die Elsevier Konsortiallizenz ohne Einbezug der EPFL zum Abschluss zu bringen. Doch wegen unserer Proteste wurde uns schließlich angeboten, unsere Forderung dem Anbieter vorzulegen, nach der wir den Lizenzvertrag erst unterschreiben müssten, nachdem wir ihn erhalten hätten.

Der Verlag versprach dem Konsortium, diese Endvereinbarung am 10. Dezember zu schicken. Sie wurde jedoch erst am 20. Dezember zugeschickt.

Am 21. Dezember erhielt die EPFL eine Kopie. ______

Im Hinblick auf das Risiko, das Verhandlungen um die Erneuerung seiner Einzellizenz für ein oder drei Jahre innerhalb von weniger als 10 Tagen für die EPFL dargestellt hätten, hat die EPFL am 23. Dezember schließlich beschlossen, die gemeinsame Lizenz zu unterzeichnen.

Eine Stellungnahme der EPFL mit konstruktiver Kritik hinsichtlich des Vorgehens wurde dem Präsidenten des Konsortiums am 23. Dezember übersandt.

Neben dieser Kritik zum Zeitplan und Vorgehen des Konsortiums wiederholte Aymonin noch einmal dem Punkt, dass man in der Schweiz zuviel bezahle bzw. eine höhere Preissteigerung als anderswo angeboten bekommt. Die genauen Prozentzahlen hat der ETH-Rat zensuriert.

Konkrete Preissteigerung anonymisiert durch den ETH-Rat

Auch stellte Aymonin eine Überforderung beim Konsortium aufgrund der Komplexität der Lizenzen fest und schlug eine Stärkung vor.

Weiter bat die EPFL den ETH-Rat einzugreifen um:

  1. die Machbarkeit von Vertragsverbesserungen der Lizenz Elsevier Science Direkt für 2012 für den ganzen ETH-Bereich zu untersuchen, und zwar unter Verwendung der Budget-Klausel, die aktuell in die Lizenz aufgenommen wurde sowie aller anderer sachdienlicher Mittel;
  2. Massnahmen für Schritte gegen die Ausnutzung des Verlages Elsevier seiner Machtposition zu prüfen, mittels der er der Schweiz und dem ETH-Bereich seine Dienste zu einem höheren Preis als dem Rest des europäischen und amerikanischen Marktes anbietet, und dies ohne stichhaltigen Grund.
  3. eine Analyse von Mitteln und Vorgehensweisen zu starten, die für die Verhandlungen aller elektronischen Lizenzen des ETH-Bereichs angewandt werden (Elsevier, Wiley, Springer, Nature… )

 

b) Stellungnahme der ETH-Bibliothek

Die Kritik der EPFL kam beim Direktor der ETH-Bibliothek gar nicht gut an. In einer 7-seitigen Stellungnahme wehrte sich Neubauer gegen die „Angriffe“ und „polemischen Unterstellungen“ der EPFL.

Die Behauptung, es hätte bei den Vertragsverhandlungen mit Elsevier Unregelmässigkeiten gegeben, weise ich im Namen des Präsidiums und im Namen der Geschäftsstelle des Konsortiums der Schweizer Hochschulbibliotheken scharf zurück.

An mehreren Stellen verwies Neubauer darauf, dass sich ausser der EPFL niemand kritisch zum Vorgehen des Konsortiums geäussert hatte:

Des Weiteren möchte ich an dieser Stelle nochmals mit Nachdruck darauf hinweisen, dass lediglich die Bibliothek der EPF Lausanne sich in dieser Form geäussert hat und keiner der anderen Konsortialteilnehmer die dort gemachten Aussagen unterstützt. Somit handelt es sich um ein Problem der Bibliothek der EPF Lausanne, keineswegs um ein Problem des Konsortiums, oder gar des ETH-Bereichs.

Probleme mit Elsevier wurden von Neubauer als der unangenehme Regelfall dargestellt, den es zu akzeptieren gilt:

Obwohl, wie bereits zur Sitzung im April 2010 prognostiziert, komplizierte und langwierige Verhandlungen zu erwarten waren, sollte man andererseits nicht vergessen, dass Lizenzverhandlungen für elektronische Informationsprodukte immer ein mühsames Geschäft sind, da ein erheblicher Teil der Verlage betriebsintern weit weniger professionell organisiert sind ist, als dies nach Aussen den Anschein hat. Insofern waren die Diskussionen mit dem Unternehmen Elsevier letztlich auch wieder nur der (zugegebenermassen unangenehme) Regelfall.

[…]

Es ist korrekt, dass die Verhandlungsführung von Elsevier für die (potentiellen) Kunden eine Zumutung darstellt, doch stellt auch dies im weltweiten Lizenzgeschäft keine Besonderheit dar. Ich darf daran erinnern, dass es sich um einen Monopolmarkt handelt, der von einem Grossteil der Verlage einseitig ausgenutzt wird. Das Bemühen der Geschäftsstelle um einen stringenten Verfahrensablauf ist ausführlich dokumentiert, so dass es eindeutig ist, wer hier die Verantwortung trägt. Der Geschäftsstelle ist dies sehr wohl bewusst, doch gibt es wenig bis keine direkten Eingriffsmöglichkeiten.

Zur Kritik, dass in der Schweiz mehr bezahlt wird verwies Neubauer auf die Problematik der Vergleichbarkeit:

Diese Bemerkung ist in dieser Form nicht korrekt, da die Verträge einzelner Konsortien nicht ohne Weiteres vergleichbar sind. Neben den durch besonderes Verhandlungsgeschick erreichbaren Vorteilen, hängt die Preisgestaltung sehr stark auch vom (finanziellen) Umfang des Gesamtpaktes ab. So hat beispielsweise das französische Konsortium geringfügig bessere Konditionen als dies für die Schweiz der Fall ist. Allerdings ist dies wenig überraschend, da der mit Elsevier generierte Umsatz etwa 4-mal höher ist.

Letzlich verwies Neubauer auf die Freiwilligkeit des Konsortiums. Wenn die EPFL nicht genügend Vertrauen in das Verhandlungschick der Geschäftsstelle habe, könne sie ja aus dem Konsortium austreten:

Wie angesprochen, ist das Konsortium eine freiwillige Einrichtung auf nationaler Ebene, die davon lebt, dass alle Teilnehmer etwaige Probleme in kooperativer Form zu lösen versuchen. Gerade im Bereich der Lizenzierung sind für eine problemadäquate Diskussion mit den Verlagen erhebliche Erfahrungen und natürlich auch detaillierte Spezialkenntnisse notwendig, die naheliegender Weise nicht an jedem Ort gleichermassen vorhanden sein können. Dies bedeutet, dass für eine gedeihliche Zusammenarbeit naturgemäss ein gewisses Vertrauen in das Verhandlungsgeschick der Geschäftsstelle vorhanden sein muss. Ist dies nicht der Fall, dürfte es sinnvoller sein, sich aus dem Konsortium zurückzuziehen.

c) Diskussion und Beschluss in der ETH-Bereichssitzung

Aufgrund der Schwärzungen im Protokoll der folgende Diskussion bei der Bereichssitzung, können die Aussagen nicht einer bestimmten Person zugeordnet werden. Allerdings lässt sich nach dem geschilderten vermuten, dass diejenigen Voten, die auf eine Änderung drängten von der EPFL, und jene die den Status Quo zu verteidgen suchten von der ETHZ kamen:

Schiesser [Präsident ETH-Rat] begrüsst die beiden Direktoren der Bibliotheken EPFL (Herr David Aymonin) und ETH Zürich (Herr Wolfram Neubauer). Schiesser informiert, dass Herr Lothar Nunnenmacher, Leiter der zusammengelegten Lib4RI (=Library for the Research Institutes) der Forschungsanstalten ebenfalls eingeladen wurde, heute aber verhindert ist.

Schiesser nennt das Ziel der heutigen Sitzung: Es soll klar werden, wie das Geschäft weiter verfolgt wird. Das Geschäft soll in der Bereichssitzung bleiben. Schiesser erinnert daran, dass die Finanzdelegation ein Auge auf dieses Geschäft haben wird.

Schiesser stellt die Frage, warum der Vertrag mit Elsevier so im Vordergrund steht, obwohl die Kosten dieses Vertrags im Gesamtbetrag der Ausgaben der Bibliotheken nur etwa einen Drittel ausmacht.

Schiesser übergibt das Wort an Weber-Mandrin. Weber-Mandrin erläutert die Geschichte: KOBAR ist ein relativ altes Geschäft, welches an den letzten Bereichssitzungen immer wieder traktandiert wurde. Mitte Dezember 2010 beantragte die EPFL unter anderem die sofortige Intervention des ETH-Rats bei der Unterzeichnung des Konsortialvertrags mit Elsevier. Die Antwort des Präsidenten des ETH-Rats vom 20. Dezember 2010 enthielt den Hinweis, dass die gestellten Anträge an der heutigen Bereichssitzung zu diskutieren seien und jede Institution für sich entscheiden müsse, ob sie den Vertrag unterzeichnen wolle oder nicht. In der Zwischenzeit haben alle Institutionen des ETH-Bereichs den Vertrag mit Elsevier unterzeichnet.

Die Bibliotheken der Forschungsanstalten sind seit dem 1. Januar 2011 zusammengelegt worden und heissen nun „Lib4RI“. Erfreulich ist, dass diese zusammengelegten Bibliotheken offenbar von Elsevier als „eine“ Institution behandelt werden, was sich finanziell günstig auswirken dürfte.

______  erklärt, dass Elsevier einen Preis auf der Basis der Anzahl Studierenden und der Anzahl Forschenden festlegt. Der ETH-Bereich ist ein Teil des schweizerischen Konsortiums, welches bisher die Verhandlungen mit Elsevier führte und schliesslich unterzeichnete. Der ETH-Bereich kann also sein Vorgehen nicht frei entscheiden, ausser er tritt aus dem Konsortium aus. ______ äussert sich skeptisch zum Erfolg von Neuverhandlungen und erinnert daran, dass das Gewicht der Schweiz im internationalen Vergleich relativ klein ist.

______ stellt fest, dass die Verleger ihre Macht ausnutzen. Der ETH-Bereich sollte Wege finden, sich gegen diese Verlage zu wehren. Gemeinsames Vorgehen ist ein Modell, aber nicht nur auf schweizerischer Ebene, sondern international. Möglicherweise könnte eine Gemeinschaft mit anderen Universitäts-Systemen, wie z.B. mit dem UC-System in Kalifornien, gebildet werden. Schiesser begrüsst den Vorschlag von ______ , mit anderen Universitätssystemen in Kontakt zu treten und gemeinsam vorzugehen.

______ verweist auf den Erfolg von ______ der für die vier Forschungsanstalten in Neuverhandlungen erreicht hat, dass für einen kleineren Preis als bisher mehr Journals zur Verfügung stehen. Er nennt das Beispiel anderer Länder, welche mit bedeutend mehr Finanzdruck als bei uns nach einer Kündigung des Vertrags mit Elsevier und anschliessenden Neuverhandlungen eine Preisreduktion in der Grössenordnung von 10-15% erzielen konnten. ______ bestätigt diese Schätzung von ______

______ nimmt die zu Beginn gestellte Frage von Schiesser auf: Warum hat Elsevier eine solche Bedeutung? antwortet, dass Elsevier der grösste Verlag ist. Gewisse kleinere Verlage verhalten sich noch aggressiver in ihrer Preispolitik.

______ skizziert die generelle Problematik: Der Inhalt für die Publikationen wird von den Forschenden geliefert. Der Verlag verlangt das Copyright von den Forschenden und verkauft dann die Publikationen wieder an dieselben Forscher, welche den Inhalt liefern – die ganze Situation ist eigentlich paradox. Aus Sicht von ______ wäre ein gemeinsames Vorgehen Richtung „open access“ die einzige längerfristig wirksame Massnahme, um die Macht der Verlage zu brechen.

______ verweist auf das Beispiel von Frankreich, wo durch gemeinsames hartes Verhandeln eines Konsortiums aller Hochschulen eine Reduktion des Preises erreicht wurde.

Schiesser fragt nach den nächsten Schritten.

______ schlägt vor, dass ein Vertreter des ETH-Rats mit Elsevier einen neuen Vertrag verhandelt, nach einem vorgängigen Austritt aus dem bestehenden Vertrag. Auf die Frage von Schiesser nach dem Verhandlungsziel antwortet ______ , dass erreicht werden sollte, dass für denselben Betrag wie heute der Zugang zu allen Publikationen inbegriffen Schiesser möchte zunächst die Meinung eines Experten einholen, namentlich zur Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten bei diesen Verhandlungen bestehen.

______ setzt sich dafür ein, dass der ETH-Bereich nicht aus dem schweizerischen Konsortium austritt, sonst wird dieses Konsortium zerstört. Er stellt fest, dass das schweizerische Konsortium zur Zeit keine Neuverhandlungen führen will.
______ gibt zu bedenken, dass der ETH-Bereich ein wichtiger Teil des Konsortiums (ca. ein Drittel) ist. Der ETH-Bereich darf das Konsortium offiziell anfragen, ob es Neuverhandlungen führen will.

______ schlägt vor, das Thema eine Stufe höher zu heben und z.B. in der CRUS eine gemeinsame Strategie zu diskutieren. Die vier Forschungsanstalten haben eine gemeinsame Lösung gefunden. Für Schiesser ist es wichtig, dass alle sechs Institutionen gemeinsam vorgehen. Erst dann kann ein gemeinsamer Antrag an das schweizerische Konsortium gestellt werden.

______ sieht nur zwei Möglichkeiten, die Verleger zum Einlenken zu bewegen: Entweder gibt es eine gesetzliche Möglichkeit, Druck auf die Verleger auszüben, oder der ETH-Bereich ist in Verhandlungen bereit, auf den Vertrag zu verzichten. Andernfalls könnte das Verhandlungsteam keine starke Position einnehmen.

Schiesser gibt ______ recht. Darum möchte er zunächst durch einen Experten die rechtliche Seite der Angelegenheit abklären lassen.
______ wiederholt seinen Vorschlag, dass der ETH-Bereich einige Schritte in Richtung „open access“ gehen sollte. Das Beispiel der Musikindustrie zeigt den längerfristigen Erfolg solcher Massnahmen.
Bei allen Verhandlungen wäre der ETH-Bereich oder auch das schweizerische Hochschulkonsortium in einer schwachen Position.

Schiesser fasst die Diskussion zusammen und schlägt folgende nächste Schritte vor:

  1. Es wird eine rechtliche Expertise in Auftrag gegeben mit dem Ziel, herauszufinden, welche rechtlichen Möglichkeiten der ETH-Bereich hat, die Verleger zu Konzessionen zu bringen. Die drei Bibliotheksleiter sollen zuhanden der Bereichssitzung baldmöglichst, spätestens aber bis zur nächsten Bereichssitzung vom 31. August 2011, Vorschläge für einen Rechtsexperten unterbreiten, welcher sich im Bibliothekswesen, insb. auch aus internationaler Sicht, auskennt. Gleichzeitig sollen die drei Bibliotheksdirektoren im Sinne eines Brainstormings einen ersten Entwurf für einen Fragenkatalog an den Experten zusammenstellen. Der ETH-Rat wird die Expertise bezahlen.
  2. Mit anderen Universitäten oder Universitätssystemen soll ein gemeinsamer Weg gefunden werden, wie mit den Verlegern erfolgreich verhandelt werden kann. Als Beispiel nennt Schiesser das UC-System. Die Bibliotheksdirektoren nehmen nach gegenseitiger Absprache mit den entsprechenden Institutionen Kontakt auf.

[…]

Schiesser dankt allen für die gute Diskussion. Er hofft auf eine Lösung, welche billiger sein wird oder zum gleichen Preis Zugang zu mehr Publikationen ermöglicht.

[..]

Schiesser bittet alle um eine Berichterstattung über die Resultate an der nächsten Bereichssitzung vom 31. August 2011.

Ergänzung 22.1.2016

Nachträglich habe ich im Beitrag noch die Stellungnahme von Neubauer auf die Kritik der EPFL ergänzt. Diese war mir leider beim ursprünglichen Scannen der Papierdokumente durchgerutscht.

Fortsetzung: Teil 2