Verlagssuche für ein Open-Access-Buch – ein Erfahrungsbericht

Im Zuge der Open-Access-Transformation erscheinen zunehmend auch Bücher Open Access. Insbesondere die Kalkulationen zu Kosten von Open-Access-Büchern gehen dabei weit auseinander: sie reichen von einigen tausend bis zu mehreren zehntausend Euro.[1] Institutionelle Publikationsfonds für Open-Access-Bücher sehen häufig Förderungen in der Höhe von bis zu 6.000 Euro vor.[2] Bislang bieten allerdings nur wenige Verlage im deutschsprachigen Raum Open Access für Bücher überhaupt aktiv an, viele beginnen erst mit der Entwicklung entsprechender Modelle.

Dieser Beitrag schildert die Erfahrungen bei der Verlagssuche für ein Open-Access-Buch, das drei Mitarbeiter*innen der UB Graz gemeinsam herausgeben. Generell ist zu empfehlen, für ein Buchprojekt zumindest zwei Verlagsangebote einzuholen; wir fragten für unsere Publikation bei gleich sechs Verlagen an.

Unsere wichtigsten Kriterien für die Vorauswahl waren ein einschlägiges Verlagsprogramm (in Fachbereichen wie Bibliotheks- und Informationswissenschaften oder Medienwissenschaften), also ein passendes fachliches Umfeld für unsere Publikation, und/oder vorhandene Erfahrung des Verlags mit Open-Access-Publikationen.

Auf Basis einer ersten Recherche kontaktierten wir Mitte 2019 sechs deutsche Verlage mit einem Projektvorschlag für das geplante Buch. Der Projektvorschlag enthielt Angaben zu Konzept und Inhalt, Umfang (geplant waren 250 Seiten bzw 550.000 Zeichen), den beteiligten Personen, der Zielgruppe des Buches u.a.m. Darüber hinaus wurden die Verlage explizit darauf hingewiesen, dass dem Herausgeberteam eine Open-Access-Verfügbarkeit sehr wichtig sei.

Unser Ziel war es herauszufinden, ob seitens der Verlage Interesse an dem damals bereits laufenden Buchprojekt besteht und welcher der Verlage unsere Vorstellungen zu möglichst attraktiven Bedingungen erfüllen würde.

Erfreulicherweise zeigten sich alle sechs kontaktierten Verlage daran interessiert, das geplante Buch in ihr Programm aufzunehmen. Die Angebote fielen allerdings teils lückenhaft und vor allem äußerst unterschiedlich aus:

  • Ein Verlag bot nur die Möglichkeit einer (kostenpflichtigen) Open-Access-Zweitveröffentlichung an, ein weiteres Angebot war in diesem Punkt unklar.
  • Es wurden unterschiedliche Buchformate und Einbände (Hardcover bzw. Softcover) angeboten.
  • Satz und Layout waren nur bei der Hälfte der Verlage im Leistungsumfang inkludiert.
  • Es wurden unterschiedliche Kostenpositionen angeführt, so etwa Kosten für die Druckausgabe und/oder für Open Access, ein Verlag kalkulierte auch Nebenkosten. Keiner der Verlage legte eine detaillierte Aufschlüsselung einzelner Kostenpositionen vor.
  • Der für die Publikation insgesamt aufzubringende Zuschuss wurde mit 0 Euro bis 6533 Euro angegeben.
  • Die Zahl der inkludierten Herausgeber- und Autorenexemplare reichte von 0 bis 40. Weitere Exemplare wurden von den meisten Verlagen mit einem Rabatt von 30-40 % auf den Ladenpreis angeboten.
  • Der Ladenpreis der Printausgabe wurde je nach Verlag zwischen 28 und 80 Euro angesetzt, also zwischen 11 und 32 Cent pro Seite.
  • Zwei Verlage stellten ein Herausgeberhonorar von 10 % des Netto-Ladenpreises in Aussicht.
  • Zwei Verlage machten Angaben zur geplanten Druckauflage: 350 bzw. 400 Exemplare inklusive Freiexemplare für Herausgeber*innen, Autor*innen und Werbezwecke.
  • Zwei Verlage baten um die Zusendung von Probekapiteln.
Überblick der Verlagsangebote

Die meisten der kontaktierten Verlage boten an, die Ausstattung des Buches gegebenenfalls an Wünsche der Herausgeber*innen anzupassen. Es bestätigte sich, dass man bei Verlagen durchaus nachfragen kann und sollte: Durch Rückfragen bei einigen der Verlage konnten wir sowohl Klarstellungen als auch teils bessere Konditionen bei Creative-Commons-Lizenzen, Ladenpreis und Anzahl der Autor*innenexemplare erreichen.

Aufgrund der sehr uneinheitlich strukturierten und kalkulierten Angebote führten wir in einem zweiten Schritt eine genauere Analyse der Angebote durch, um den für uns „besten“ Anbieter zu identifizieren. Hierbei waren uns folgende Punkte wichtig:

  • Vertrauenswürdiges, schlüssiges Angebot
  • Open-Access-Option
  • Leistbare Publikationskosten
  • Vertretbarer Ladenpreis der Printausgabe

Drei Verlage kamen dabei in die engere Auswahl: Sie hatten nachvollziehbare Angebote gelegt sowie strategisches Interesse an der Publikation signalisiert und waren auch bereit, uns bei den Konditionen entgegenzukommen. Wir wählten schließlich jenen Verlag, der sowohl einen vertretbaren Ladenpreis als auch einen vergleichsweise niedrigen Zuschussbedarf angegeben hatte – mit dem Hinweis, dass aufgrund des besonderen Interesses an diesem Band („Open-Access-Publikation von Perspektiven, die uns alle voranbringen“) in unserem Fall nur 2/3 der Betriebskosten in Rechnung gestellt würden. Die beiden anderen Angebote waren ebenfalls interessant, hätten aber unser Budget – und das der Käufer*innen der Druckausgabe – deutlich mehr belastet.

Unser Verlagsvergleich brachte somit folgende Erkenntnisse:

  • Nicht alle Verlage „können“ Open Access.
  • Verlagsangebote sind sehr unterschiedlich strukturiert und kalkuliert und daher nur bedingt vergleichbar.
  • Einholen mehrerer Angebote und Nachfragen lohnen sich.
  • Das eigene Werk dem Verlag gut und verständlich zu „verkaufen“ ist wichtig.
  • Die Höhe des Finanzierungsbedarfs hängt auch vom „Wert“ eines Buches für das Verlagsprogramm ab und kann – zumindest bei nicht streng wissenschaftlichen Büchern – geringer sein als allgemein vermutet.

Der Umfang des Buches erhöhte sich von den ursprünglich geplanten 250 schlussendlich auf beinahe 400 Seiten, was nachträglich eine moderate Erhöhung des Finanzierungsbedarfs und des Ladenpreises bei ansonsten unveränderten Rahmenbedingungen brachte. Das Buch „Publikationsberatung an Universitäten“ erscheint im Mai 2020 gedruckt und Open Access.


[1] Ferwerda et al., A Landscape Study on Open Access and Monographs: https://doi.org/10.5281/zenodo.815932  (S. 38)

Grimme et al., The State of Open Monographs: https://doi.org/10.6084/m9.figshare.8197625  (S. 16-20)

Maron et al., The Cost of Publishing Monographs: https://doi.org/10.18665/sr.276785 

Eve et al., Cost estimates of an open access mandate for monographs in the UK’s third Research Excellence Framework: https://insights.uksg.org/articles/10.1629/uksg.392/ 

[2] Beispiele siehe https://oa2020-de.org/assets/files/20191203_Vorträge_OAMonografienWorkshop.pdf

EMBO Journals – Zu teuer für Open Access?

Wer den empfehlenswerten Beitrag „Open access: The true cost of science publishing“ (2013) gelesen hat, blieb ratlos zurück. Die Einschätzungen über die tatsächlichen Kosten eines wissenschaftlichen Artikels reichten von $300 (Hindawi, PeerJ, Ubiquity Press) bis hin zu $30’000 (Nature). Dabei sind nur wenige Verlage auch wirklich transparent über ihre tatsächlichen Kosten. Neu gehört EMBO dazu. EMBO hat die vergangene Woche detailliert über die Einahmen und Aufwände des Jahres 2017 berichtet.

6’350€ Kosten pro Artikel

Insgesamt wurden im Jahr 2017 in den 4 Journals von EMBO 706 Artikel publiziert.

  • EMBO Journal (Subskriptionsjournal): 280 Artikel
  • EMBO Reports (Subskriptionsjournal): 226 Artikel
  • EMBO Molecular Medicine (Gold OA): 135 Artikel
  • Molecular Systems Biology (Gold OA): 65 Artikel

Die Annahmequote lag gemäss EMBO bei ca. 10%, so dass der Verlag mit etwa 7000 Einreichungen umgehen musste.

Für die Abwicklung dieser 7000 Einreichungen, bzw. dem Publizieren von 706 Artikel hat EMBO 4.48 Mio EUR aufgewendet, wobei sich diese Kosten auf EMBO Press Office (Standort Heidelberg) und Wiley aufteilen:

Aufwände für 4 Journals im Jahre 2017 (Fig 2)

Für Services bei Wiley (Produktion, Verkauf, Marketing, Plattform, Journal Promotion) wurden €2500 pro Artikel an Wiley bezahlt. €3850 pro Artikel gingen an EMBO Press:

Staff working at the four EMBO Press journals include 17 scientific editors (including those with managerial responsibility), three editorial assistants, a data integrity analyst, a project and marketing manager, and a designer. Salaries and employer costs (including pension contributions, health insurance, maternity cover etc.) make up €2.2 Mio. Office expenses, recruitment costs, conference fees, travel and other items add a further €504,000.

Runtergebrochen auf die offensichtlich sehr ordentlich bezahlte Arbeit heisst das:

Editors and assistants spend about 17 hours on a paper that ends up being published, of which six hours are spent after final acceptance on pre-production checks, integrity checks and data curation. For papers that are not reviewed, slightly under two hours are spent on initial quality checks and editorial assessment.

Die grundsätzlichen Aufgaben eines Scientific Editors kann man übrigens einem früheren Job-Inserat entnehmen.

1’880€ Gewinn pro Artikel

Obwohl die Kosten bei EMBO ausserordentlich hoch sind, schaffte es EMBO pro Artikel einen Gewinn von €1’880 einzustreichen, was einer stattlichen Gewinnmarge von 23% entspricht.

Bei seinen zwei Subskriptionsjournals EMBO Journals und EMBO Reports hält EMBO zudem zweimal die Hand auf. Ein Blick in den Hybrid OA Monitor zeigt, dass ingesamt bei 109 Artikel die Hybrid OA Option gewählt wurde. Bei einer Hybrid APC von €4’700 sprechen wir von zusätzlichen Einnahmen von €512’300.

  • EMBO Journal : 280 Artikel, davon 73 (26%) Hybrid OA
  • EMBO Reports: 226 Artikel, davon 36 (16%) Hybrid OA

Das EMBO-Dilemma

Die Offenlegung der Finanzen erfolgt mit der Erkenntnis, dass für einen vollständigen Flip zu Gold OA die höhe der aktuellen APC €3’300 (Pure Gold OA) €4’700 (Hybrid OA) nicht ausreichen. Dies führt zum Dilemma von EMBO:

“We want to go fully open access. At the moment, we can’t afford to. Who is going to pay and for what?”

Maria Leptin, Direktorin EMBO (Quelle: Zitiert in Science Business)

Mögliche Lösungen?

a) Kosten bei Wiley senken oder ganz weg von Wiley

EMBO betont unermüdlich non-profit zu sein. Wie nun diese Aufschlüsselung der Kosten zeigt, geht dennoch ein substanzieller Teil der Einnahmen an den börsenkotierten Wiley Verlag, welcher solche Partnerschaften auch gerne gegenüber seinen gewinnerwartenden Shareholdern herausstreicht:

Separately, we continue to add important and prestigious society partnerships. Quality matters to the research community and Wiley’s portfolio of brands keeps getting stronger.

Brian A. Napack, CEO John Wiley & Sons, Inc (Q1 2020 Inc Earnings Call)

Diese Partnerschaft mit Wiley sollte von EMBO hinterfragt werden. Wie Bernd Pulverer, Head of Publications bei EMBO, bei einem einem Talk erwähnt, dürften von einem grossen Verlag Wiley hinsichtlich technischer Produktion, Onlinestellung und Vermarktung eigentlich tiefe Kosten durch Skaleneffekte zu erwarten sein und entsprechend kann das Outsourcing an einen kommerziellen Verlag durchaus sinnvoll sein. Doch €2’500 ist extrem hoch. Ich bin überzeugt, dass andere Verlage die gleiche Dienstleistung für einen Fünftel dieser Kosten anbieten können.

Hinsichtlich einer Umstellung auf OA ist zu beachten, dass diverse Kosten aus der Subskriptionswelt sowieso wegfallen, oder extrem verschlankt werden können (bspw. Verkauf und Marketing).

b) Beteiligung von EMBO am Journalgeschäft

Aktuell generieren die Subskriptionsjournals einen zusätzliche Einnahme-Quelle für EMBO. Oder um es zuzuspitzen: EMBO entzieht via Subskriptionen den Forschungsinstituten Geld, nur um es dann später in Form von Förderung wieder in die Forschung zu pumpen. Dabei werden beiläufig auch die Taschen der Shareholder von Wiley gefüllt.

Gemäss Bernd Pulverer, ist man durchaus bereit, auf den aktuellen Gewinn zu verzichten, sollte es nötig sein. Aber weshalb nicht noch einen Schritt weitergehen? Weshalb kann und soll sich EMBO nicht an der Finanzierung des Journalgeschäfts beteiligen?

EMBO wird aktuell durch die Europäische Konferenz für Molekularbiologie (EMBC) finanziert, an welche praktisch alle europäische Staaten einzahlen:

Weshalb nicht diesen Finanzierungsmechnismus auch für die Journals zu nutzen?

Natürlich wäre zu diskutieren, ob die Europäer bereit wären alleine Journals zu finanzieren, in denen dann die ganze Welt publizieren könnten. Schaut man sich in Dimensions die Affilations der im Jahre 2017 publizierten Artikel aller Autorinnen (also nicht nur Corresponding Authors) an, zeigt sich dass 60% aus den Länder stammen, welche EMBC finanzieren.

Mit etwas Goodwill und Kreativität würde sich hier sicher ein passendes Modell finden. EMBC hat beispielsweise heute schon assoziierte Mitgliedschaften von Indien und Singapur, sowie Kooperationsvereinbarungen mit Taiwan und Chile.

c) Überdenken des Exzellenz-Begriffs

EMBO zelebriert Exzellenz und ist stolz auf die 90%-Ablehnungsquoten seiner Journals. Die Selektivität wird dabei als Argument verwendet, weshalb bei EMBO die Kosten so teuer sind:

The bulk of the publishing cost is due to editorial and peer review selection, quality control, and enhancement of manuscripts. Thus, the cost of APCs has to scale with a journal’s degree of selectivity. It is not surprising that there are only a few highly selective OA journals

Bernd Pulverer, https://doi.org/10.15252/embj.2018101215

So wirklich deutlich ist dieses Argument in den nun vorgelegten Zahlen nicht erkennbar, da nicht erwähnt wird, wieviele Einreichungen direkt nach einer 2h-Sichtung durch einen Editor abgelehnt werden und wieviele doch ein Peer-Review durchlaufen bevor sie abgelehnt werden.

Allerdings ist es grundsätzlich einleuchtend, dass wenn mehr Papers angenommen würde, die Kosten pro publizierten Artikel sinken würden.

Aus einer distanzierten Position, stelle ich mir schon die Frage, ob diese künstliche Selektion vor der Publikation nach engen Scope, Neuigkeit und Relevanz um dem Journal den Nimbus von Exklusivität zu geben tatsächlich noch zeitgemäss ist?

Was ist daran exzellent, wenn ein viele Ressourcen des Verlages, der Editoren, der Reviewers und den AutorInnen darauf verschwendet Inhalte abzulehnen, die dann vielleicht sowieso anderswo publiziert werden?

Das macht nicht einmal den EditorInnen bei EMBO Freude:

One part of the challenge is psychological:  that you inherently spend much more time rejecting than accepting papers. That comes with the job, everyone knows that and understands that. But some days you can feel like you turn people down. That can be particularly tough when you know that someone has spent a lot of time on a study. In those cases it helps to remember that editorial decisions are not generally about the technical quality of the work, but the scope relative to our journal. In addition, there are many other journals out there. Just because we cannot offer to publish a paper in The EMBO Journal doesn’t mean that it won’t be published elsewhere.

Anne Niesen, Senior Editor, EMBO Press (Quelle: Blog EMBL Careers)

Müsste es nicht eher das Ziel sein, möglichst effizient viele wissenschaftlich solide (≠ exzellente) Arbeiten zu publizieren? Können wir das Bedürfnis nach Relevanz und Einordnung heute nicht anders und besser angehen, als bloss mit dem Label des Journals. Gerade wenn offensichtlich ist, zu welchen absurden Auswüchsen der Fokus auf selektive Journals führt. Hier finde ich Ansätze, die weg von Journals führen, um einiges vielversprechender. Siehe Talk „Life After the Death of Science Journals“ von Viktor Tracz, Gründer von BMC und F1000.

EMBO hat mit einem transparenten Peer-Review Verfahren bereits viel Innovation geleistet. Mit der aktiven Beteiligung beim angekündigten Service reviewcommons.org, bei dem das Peer-Review vor dem Einreichen bei einem Journal geschehen soll, geht es definitiv in die richtige Richtung. Hier könnte aber in Sinne von Ressourcenoptimierung durchaus noch weiter gedacht werden.

Fazit

Mir ist erst im Laufe der Recherche zu diesem Post bewusst geworden, dass EMBO nicht einfach eine Society von individuellen Forschenden ist, sondern durch und durch öffentlich finanziert wird. Von daher ist die Kostentransparenz und die vollständige Umstellung zu OA in der aktuellen politischen Situation (OA-Strategien diverser Trägerstaaten, Plan S) mehr als hinfällig.

Die Zahlen zeigen, dass sich EMBO mit dem Exzellenz-Argument Luxuslösungen leistet, die überdacht werden sollten. Kann EMBO durch korrigierende Schritte die Kosten senken, sehe ich allerdings viel Potential um die Journals vollständig nach OA umzustellen.

Der Finanzierungsmechanismus von von EMBO bietet sich eigentlich nur so an, um auch auf die Journals übertragen zu werden.

Bundeskanzlei verhindert freien Zugang und subventioniert NZZ Libro Verlag

Die folgende Geschichte fängt mit der Pressemeldung Bundesrat nimmt den Bericht «Die Schweiz 2030» zur Kenntnis vom 16.10.2018 an.

Die Schweizerische Bundeskanzlei hat 77 Persönlichkeiten aus verschiedene Branchen und Landesteilen eingeladen, kurz und prägnant wichtige Entwicklungen, die der Bundesrat bei der Festlegung der Bundespolitik berücksichtigen sollte, zu schildern. Gemäss Pressemeldung wird der Bericht in die Erarbeitung des nächsten Legislaturprogrammes einfliessen.

Bericht ist auch elektronisch kostenpflichtig

Normalerweise würde man nun bei solchen staatspolitisch relevanten Berichten der Verwaltung erwarten, dass der Bericht in der Pressemeldung verlinkt ist. Hier jedoch nicht. Anstelle einer URL gibt es bloss den Hinweis, dass der Bericht im Webshop „Bundespublikationen“ oder beim Verlag „NZZ Libro“ kostenpflichtig erworben werden muss.

Buch „Die Schweiz 2030“ käuflich für 34 Fr. im Shop Bundespublikationen
„Die Schweiz 2030“ käuflich für 20.50 Fr. (E-Book) und für 34 Fr. (Print) im Shop von NZZ Libro

Autorinnen haben kein Honorar erhalten

Da die Bundeskanzlei bei diesem Bericht als Herausgeberin angegeben war, erkundigte ich mich nach dem Hintergrund dieser merkwürdigen Konstellation und verlangte gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz Auskunft und Einblick in die relevanten Akten.

Hinsichtlich des Urheberrechts zu diesem Bericht gab Lorenzo Cascioni, Leiter Sektion Strategische Führungsunterstützung der Bundeskanzlei folgende Auskunft:

Die Autorinnen und Autoren haben ihren Beitrag unentgeltlich verfasst. Als Dank erhalten sie ein Gratisexemplar vom Buch. Die Urheberrechte am Text verbleiben beim Autor/bei der Autorin, die Nutzungsrechte für alle Auflagen und Ausgaben werden den Herausgebern bzw. dem Verlag übertragen.

Bund bezahlte 53’000 Franken

Hinsichtlich der finanziellen Situation wurde ich ans Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) verwiesen, welche das Bestellverfahren durchgeführt und die Abrechnung vorgenommen hat. Ich erhielt Einsicht zu den drei relevanten Bestellbestätigungen. Für die Erstellung und Gestaltung einer druckreifen PDF-Version des Berichts flossen 37k Fr. zum NZZ Libro Verlag. Für den Druck der Buchblöcke, der Umschläge und des Binden von 2000 Exemplaren wurden zusätzlich 16k Fr. an zwei weitere Firmen bezahlt:

Gestaltungsarbeiten (NZZ Libro Verlag)37’000 Fr.
Druck (Ostschweiz Druck AG)  5’530 Fr.
Buchbinderei-Arbeiten (Bubu AG)11’164 Fr
Total bezahlte Kosten durch Bund (exkl. MwSt)53’694 Fr.

Von den 2000 gedruckten Exemplare wurde die Hälfte durch die Bundesverwaltung selber beansprucht:

  • Je ein Gratisexemplar an die Autorinnen und Autoren
  • Je ein Gratisexemplar an die Kantone, Parteien und an die Parlamentarierinnen und Parlamentarier
  • Eigenbedarf innerhalb der Verwaltung (Bundesräte, Departemente/Bundeskanzlei)
  • Verkauf über Shop Bundespublikationen (ca. 500)

Subventionierung des NZZ Libro Verlags

Die andere Hälfte (1000 Ex.) wurde NZZ Libro für den Verkauf zu Verfügung gestellt. Gemäss einer (mir noch nicht zugänglichen) Basisofferte, soll für jedes durch den Verlag verkaufte Exemplar eine Rückzahlung von 20% der Netto-Verlagseinnahmen an den Bund zurückgehen. Der restliche Betrag sei als Entschädigung für die Aufwände und Vermarktung des Buches von Seiten Verlag gedacht. 

Gelingt es dem NZZ Libro Verlag alle 1000 Exemplare zu einem Preis von 34 Fr. zu verkaufen, kann er ohne eigenes Risiko und und viel Aufwand 27’200 Fr. Erlös erzielen:

34’000 Fr.  – 6800 Fr. = 27’200 Fr. 

Selbst wenn durch den NZZ Libro Verlag (1000 Ex.) wie auch durch den eigenen Shop (500 Ex.) alle bisher 1500 gedruckten Berichte verkauft werden könnten, bliebe der Bund letztlich auf Ausgaben von 30k Fr. sitzen:

53’694 Fr. – 17’000 – 6800 Fr. = 29’894 Fr.

Closed Access soll zu höherer Visibilität führen

Auf die Frage, weshalb trotz dieser enormen öffentlichen Finanzierung der Bericht nicht frei elektronisch zu Verfügung steht, antwortet Lorenzo Cascioni von der Bundeskanzlei:

Für die Buchpublikation wurde ein externer Verlag herbeigezogen, um dem Buch eine grössere Visibilität zu verschaffen. Aufgrund des kommerziellen Aspekts dieser Zusammenarbeit sind die Bücher (print und elektronisch) nur entgeltlich zu erwerben. Wir verweisen zudem auf Artikel 3 der Gebührenverordnung Publikationen. Gemäss Auskunft des BBL ist dies vorliegend die Grundlage für die Entgeltlichkeit.

Gebührenverordnung Bundespublikationen

In der Tat kann die Bundesverwaltung gemäss dieser Verordnung beim Bezug von Publikationen Gebühren erheben. Was beim Bezug von Print-Publikationen ja durchaus nachvollziehbar ist, wird aber mit der Gebühr auf die elektronische Version ad absurdum geführt. Tragischerweise wurde diese Gebühren für elektronische Publikationen erst 2015 mit der Revision dieser Verordnung eingeführt. Auszug aus dem erläuternden Bericht:

Die bisherige Gebührenverordnung Publikationen sah bis anhin keine Gebühren für elektronische Publikationen vor. Der Internet-Shop
Publikationen des Bundesamtes für Bauten und Logistik (BBL) erlaubt
es aber beispielsweise bereits heute, sowohl kostenlose wie auch kostenpflichtige elektronische Publikationen anzubieten. Die neue Gebührenverordnung trägt diesem Umstand Rechnung und sieht deshalb neu die Möglichkeit vor, für elektronische Publikationen eine Gebühr zu erheben. Dies bezieht sich insbesondere auf elektronische Publikationen, deren Erstellung oder Veredelung aufwändig ist. Nicht aufwändige
elektronische Publikationen können aber weiterhin gratis bezogen werden. Damit wird dem Bedürfnis der Herausgeber in der Bundesverwaltung entsprochen, welche einer kostenpflichtigen gedruckten Publikation eine elektronische Version zur Seite stellen wollen.

Im Weiteren ist im Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember
2004, (BGÖ; SR 152.3) Art. 17 Abs. 4 festgehalten: „Für die Abgabe von Berichten, Broschüren oder anderen Drucksachen und Informationsträgern kann in jedem Fall eine Gebühr erhoben werden“.

In der allgemeinen Gebührenverordnung vom 8. September 2004 (AllgGebV; SR 172.041.1) wird die Gebührenpflicht im Art. 2, Ziff. 1
für Dienstleistungen begründet: „Wer eine Verfügung veranlasst oder eine Dienstleistung beansprucht, hat eine Gebühr zu bezahlen“.

Mit diesen Erläuterungen fühlt man sich beim Bericht der „Die Schweiz 2030“ gleich mehrfach vor den Kopf gestossen.

  • Die Entscheidung diesen Bericht zu erstellen (und Kosten zu verursachen) lag alleine bei der Bundeskanzlei. Von einer durch BürgerInnen beanspruchten Dienstleistung, welche allenfalls eine Gebühr gemäss Verursacherprinzip rechtfertigen würde, kann insbesondere bei den Herstellungskosten der elektronischen Version, nicht gesprochen werden.
  • Alleine die Tatsache, dass die Bundeskanzlei es für sinnvoll hielt, eine Printausgabe zu erstellen, für welche eine Gebühr gerechtfertigt sein mag, begründet nicht, weshalb die elektronische Version ebenfalls kostenpflichtig sein soll. Die Kosten für das Hochladen und Hosting eines Berichts sind heute vernachlässigbar.

Fazit

Das Verbreitungsrecht zum Bericht „Die Schweiz 2030“ liegt nachwievor bei der Bundeskanzlei. Möchte sie wirklich die grösst mögliche Visibilität des Berichts erreichen, dann sollte sie diesen Bericht frei elektronisch zugänglich machen. Gemäss Gebührenverordnung Publikationen Art. 4 Abs. 3 obliegt ihr diese Kompetenz.

Die inhaltliche Verlagsarbeit von NZZ Libro wurde mit dem Gestaltungsauftrag von 37’000 Fr mehr als genügend abgegolten. Es ist unwahrscheinlich, dass diese initialen Kosten des Bundes, jemals durch die Erlöse des Verkaufs gedeckt werden. Schon gar nicht, wenn die Bundeskanzlei dem NZZ Libro Verlag in einem unverständlich grosszügigen Akt, nahezu sämtliche Gewinne aus dem Verkauf von 1000 vorfinanzierten Exemplaren überlässt.

Es wäre sinnvoller, wenn sich die Bundeskanzlei von den mitschwingenden Pseudo-Argument der Kostdeckung gemäss Verursacherprinzip gänzlich lossagen würde, und den Bericht elektronisch unter einer offenen CC-Lizenz zugänglich macht. 

Update 18.12.2018

Das BBL ergänzte auf eine weitere explizite Anfrage hin, endlich die Basisofferte, auf der festgehalten ist:

 Für jedes durch den Verlag verkaufte Exemplar erhält der Verlaggeber (Bundeskanzlei) eineRückzahlung von 20 % der Netto-Verlagseinnahmen.

Initiale Offerte für das Buchprojekt mit einer angedachten Auflage von 10’000 Exemplaren. 

Update 18.04.2019

Die Bundeskanzlei ist meinem Anliegen entgegen gekommen. Ab sofort steht das PDF im Shop Bundespublikationen frei zu Verfügung. Dies ist das Resultat einer erfolgreichen Schlichtung gemäss BGÖ beim EDÖB.

Inzwischen ist von Damian Müller (Ständerat, FDP) zur Publikation eine Interpellation (19.3232) mit diversen Fragen eingereicht worden.

Publikationskosten für Closed-Access: Die verschwiegenen APCs

Wer „Article Processing Charge“ (APC) hört, denkt wahrscheinlich unweigerlich an Gold OA. In der Tat hat sich das APC-basierte Geschäftsmodell insbesondere bei den volumenstarken Gold OA Journals durchgesetzt und steht fälschlicherweise schon fast synonym zu Gold OA.

In der aktuellen Debatte über Vor- und Nachteile von APCs und der Transformation zu OA, wird häufig unterschlagen, dass in einigen Disziplinen bereits schon seit langer Zeit APCs in teils beachtlicher Höhe bezahlt werden. Diese haben aber NICHTS mit Open Access zu tun. Hier ein paar Beispiele aus der Praxis:

American Geophysical Union (AGU) – Wiley

Besonders aktiv im Geschäft mit solchen Non-OA Publication Charges ist die AGU die ihre Journals bei Wiley verlegt. Pro Closed-Access Artikel können gerne schon mal $4125 fällig werden:

Page Charge - Journal of Geopysical Research.jpg

Auf der Website schreibt AGU:

Authors in several AGU journals are asked to help support publication through payment of author fees. Publication fees vary by journal and were designed to keep institutional subscriptions affordable for these journals. Excess page fees are in addition to the standard journal fee.

Für seine Journals sind dann Publication Fees bis $1000 fällig. Dazu kommen dann „Excess Fees“ von je $125 pro Publication Unit.

Angewandete Chemie – Wiley

Beim Journal Angewandte Chemie, welches der Gesellschaft Deutscher Chemiker gehört und von Wiley verlegt wird, können auch mal schnell 1344€ fällig werden, wenn man dem Verlag eine gute Grafik zur Verwendung für das Cover zu Verfügung stellt und weitere 623€ wenn man in seinem Artikel Farbabbildungen verwendet:

Color Figures - Angewandte Chemie.jpg

Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEE)

IEEE verlangt gerne recht happige „Mandatory overlength page Charges“:

Overlength Charges - IEEE.jpg

Oder auch mal „Voluntary Page Charges“:

Voluntary Page Charges - IEEE.jpg

Diese kommen noch dem Print-Zeitalter. In einem Editorial von 1972 findet sich beispielsweise dieser Aufruf:

Voluntary Page Charges.jpeg

Der Betrag von $60 pro Seite hat sich inzwischen nahezu verdoppelt, wie der Auszug aus der Author Information der IEEE Signal Processing Society zeigt:

Upon acceptance of a manuscript for publication, the author(s) or his/her/their company or institution will be asked to pay a charge of $110 per page to cover part of the cost of publication of the first ten pages that comprise the standard length (two pages, in the case of Correspondences).

Optical Society of America (OSA)

Die OSA kennt Page Charges…

Page Charges OSA2.jpg

.. und auch Voluntary Fees:

Page Charges OSA.jpg

Die OSA schreibt dazu:

Voluntary page-charge contributions help defray the cost of editorial preparation and composition. These charges assist OSA in maintaining comparatively low subscription rates for OSA members and libraries, thus maximizing the dissemination of research results. Payment is neither an obligation nor a prerequisite for publication. In general, publication charges are regarded as an essential part of research budgets, since publication is the final process in a research project. As such, OSA asks authors to consider making voluntary contributions ($125 per page) in partial support of their research and to offset fundamental costs attached to its publication.

Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)

Bei PNAS sind alle Artikel nach 6 Monaten frei auf der Journal Website zugänglich. Für eine klassische Subskriptionszeitschrift tönt das grosszügig. Zumindest wenn man nicht weiss, dass PNAS eben nicht nur Geld via Subskription einnimmt, sondern seinen AutorInnen auch standardmässig eine gesalzene Publikationsgebühr verrechnet:

PNAS Page Charges.jpg

1700$ sind es bei einem „Regular research article“. Bei einem „PNAS Plus article“ können es auch schon 2830$ sein. Dieser Preis kann sich dann noch erhöhen, wenn Color Figures oder Supplemental Information dazu kommen.

Kidney International – Elsevier

Auch bei Elsevier kennt man Page Charges, so z.B. beim Journal „Kidney International“ der International Society of Nephrology.

Page charges cover a proportion of the costs of processing and producing the article for publication. After final layout for publication, each page of an article will incur a fixed charge of US$165 per page.

Elsevier.jpg

SpringerNature

Im Journal „Nature Climate Change“ von SpringerNature kosten 5 Color Figures £1230.

SpringerNature

American Phyiscal Society (APS)

Auch Journals wie Physical Review Letters oder Physical Review B verlangen Author Fees:

Author Fees.jpg

Gemäss APS scheinen die Kosten offenbar (neu?) bei denen angewendet zu werden, welche das Manuskript nicht in einer akzeptablen Form einreichen:

To help defray editorial and production expenses, authors of manuscripts that are not submitted in acceptable electronic format are expected to pay a publication charge of $1585/article, $990/Rapid Communication, $360/Comment or Reply

FASEB Journal

Das Journal der Federation of American Societies for Experimental Biology verlangt $199 pro Seite, sowie $199 für Supplemental Units:

A supplemental unit is defined as one 8.5 x 11 inch page of text or figures with 1 inch margins using Times New Roman, Courier, Arial, Calibri, and/or Tahoma fonts at 9 points or larger. For multimedia files (i.e. audio or video), each file is considered one unit.

FASEB.jpg

Fazit

Diese Beispiele zeigen, dass bei diversen Journals AutorInnen schon heute beachtliche Kosten für ihre Artikel selber tragen müssen und die Publikation anschliessend nicht OA ist. Für UK schätzt Andrew Gray in der Publikation Considering Non-Open Access Publication Charges in the “Total Cost of Publication” (2015) diese Non-OA Publikationskosten auf etwa 2% der gesamten Subskriptionskosten.

Allerdings werden diese Kosten sinnvollerweise pro Journal betrachtet, wo sie natürlich einen grösseren Effekt haben. Möglicherweise ist auf dieser Ebene der Schritt zur vollständig Umstellung zu Gold OA mit APCs gar nicht mehr so weit.

Jüngst geschehen bei den Zeitschriften „Journal of Glaciology“ und „Annals of Glaciology“ der International Glaciological Society. Bis 2016 verlangte die Society entweder eine Hybrid APC von £2300 oder eine Page Charge von £90 bzw. £80 pro Seite. Seit 2016 sind beide Journals Gold OA mit einer APC von £1200 verlegt bei CUP.

Wenn AutorInnen schon zahlen sollen, dann bitte doch gleich für Gold OA. Das wäre einfach ehrlicher und transparenter.

Update 11.01.2017

Wie ich gerade bemerke hat AIP soeben bekannt gegeben auf Page Charges künftig zu verzichten:

The company’s decision followed an assessment of the global publishing landscape, which found that the charges represented potential barriers to some researchers, and no longer serve the AIP Publishing non-profit mission.