Mit einem rechtskräftigen Entscheid im März 2025 schafft die die Rekurskommission der Zürcher Hochschulen nun nach vier Jahren Klarheit, wie das Öffentlichkeitsprinzip bei der föderalen Zusammenarbeit anzuwenden ist.
Mitgegangen, Mitgefangen
Sind Mitarbeitende der kantonalen Zürcher Hochschulen (UZH, ZHAW, ZHdK) im Besitz von Dokumenten, welche sie in nationalen Gremien wie z.B. swissuniversities oder dem Konsortium der Schweizer Hochschulbibliotheken erhalten haben, sind diese grundsätzlich über das kantonale Öffentlichkeitsgesetz (IDG) zugänglich zu machen. Dabei liegt es an den Zürcher Hochschulen die anderen Teilnehmer der Gremien anzuhören und mögliche der Transparenz entgegenstehende Interessen gemäss den Ausnahmen des Zürcher Öffentlichkeitsprinzip zu bewerten. Auch wenn dieser Verfahrensweg schon immer so vorgesehen war, scheuten sich die Zürcher Hochschulen, wie auch die Rekursinstanzen, bislang davor diese Anhörung und Interessensabwägung in aller Konsequenz umzusetzen. Ungern wollten die Zürcher den anderen Gremienteilnehmer „ihre“ Transparenz „aufzwingen“. Selbst das Zürcher Verwaltungsgericht weigerte sich im Entscheid (VB.2020.00746) aus angeblichen Respekt vor der Hoheit der anderen Kantone und des Bundes eine saubere Interessensabwägung von der UZH zu verlangen. Damit ist nun Schluss! Wenn die Zürcher Hochschulen involviert sind, gilt mindestens das Züricher Öffentlichkeitsprinzip.
Rechtliche Rehabilitation früher Entscheide
Dass die Rekurskommission nun endlich genau hingeschaut hat – nachdem sie sich vor fünf Jahren noch vor einem klaren Entscheid gedrückt hatte – liegt wohl auch daran, die Widersprüchlichkeit des Status Quo immer deutlicher wurde und die Rekurskommission sich im Verfahren mit der ZHAW um Zugang zu Dokumenten bei swissuniversities auch positionieren musste. Hilfreich dabei war auch, dass die Universität Basel bei einer erneuten Anfrage zu den Zahlungen an Elsevier im Mai 2024 die Zahlen bekannt gab und damit quasi das schräg in der Landschaft stehende Urteil des Bundesgerichts (1C_40/2017) annulierte.
Mit dem jüngsten Entscheid in Zürich gelingt nun auch die späte Rehabilitierung einer Niederlage in Liechtenstein. 2022 hatte dort die lokale Beschwerdekommission in einem Akt patriotischen Übereifers verhindert, dass der Beitrag der Universität Liechtenstein zum Schweizer Elsevier-Agreement öffentlich wird. Nun aber wird dieser über eine Anfrage nach Öffentlichkeitsgesetz bei der Universität Zürich zugänglich gemacht.
Daten zu Elsevier-Agreement 2020-2023
Bei der aktuellen Anfrage bei der Universität Zürich ging es mir um Daten zum vergangenen Elsevier-Agreement 2020-2023. Hierzu gab es offiziell nie eine öffentliche Auswertung und Analyse. Hier nun die Zahlungen mit den Anpassungen der letzten beiden Jahre.
Ebenfalls auf Zenodo zugänglich ist nun eine bisher interne Präsentation zum Agreement.
Seit der Total-Revision von 2021 bezweckt das Schweizer Beschaffungsrecht auch den wirtschaftlichen und den volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel.
Dies gilt sicher für Beschaffungen über den Schwellenwerten:
Für die Verlagsleistungen gelten gemäss BöB die Schwellenwerte von CHF 230’000 für die ETH und die EPFL und gemäss IVöB CHF 250’000 bzw. CHF 350’000 für kantonale Forschungsinstitutionen. Ab diesen Vertragsvolumen müssen Aufträge an Verlage schweizweit oder gar international ausgeschrieben werden. Ab CHF 150’000 kommt das Einladungsverfahren gem. Art. 20 BöB / IVöB zum Zug, bei dem öffentliche Auftraggeber:innen zwar nicht öffentlich ausschreiben, aber drei Anbieter:innen zur Offerteinreichung einladen müssen.
Aber auch für kleinere Beschaffungen:
Allerdings spricht sich die Literatur unter dem revidierten Gesetz dafür aus, die grundlegenden Prinzipien des Beschaffungsrechts selbst dann zu berücksichtigen, wenn die Schwellenwerte nicht erreicht werden. Dies wird damit begründet, dass den staatlichen Stellen auch im unterschwelligen Bereich, der schliesslich den Grossteil aller Beschaffungen ausmacht, eine Vorbildrolle zukommt und er auch dort den verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Prinzipien der Gleichbehandlung, des wirtschaftlichen Handelns und der Nachhaltigkeit nachleben solllen.
Für die Praxis bedeutet dies:
Dem Beschaffungsrecht unterstellte Akteure und Akteurinnen müssen sich bei jeder Ausschreibung überlegen, i) welches Preis-Leistungs-Verhältnis anzustreben ist und inwiefern sich die zu beschaffende Leistung auf ii) die Umwelt und iii) die Gesellschaft auswirkt.
Soziale Nachhaltigkeit nicht mit traditionellem Modell vereinbar
Früh und Koch versuchen in ihrem Beitrag zu bewerten, ob gemäss den beiden Prinzipien der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit des Beschaffungsrechts das Open-Access-Modell gegenüber dem traditionellen Reader-/Library-Pay-Modell bei der Beschaffung bevorzugt werden sollte.
In Bezug auf die wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist letztendlich entscheidend, ob die Leistungen der Verlage (Begutachtung, Lektorat, Layout, Archivierung) im Verhältnis zu dem von ihnen verlangtem Preis steht. Dies kann bei beiden Modellen gleichermassen gegeben oder nicht gegeben sein.
Jedoch offenbart das Reader/Library-Pay-Modell in Bezug auf die soziale Nachhaltigkeit eine Schwäche, indem es der Allgemeinheit den Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen verwehrt, obwohl diese Erkenntnisse mithilfe öffentlicher (Steuer-)Mittel erarbeitet werden.
Daher sollte Open Access im Sinne des sozialen Nachhaltigkeitsprinzips stärker bei Beschaffungsentscheidungen berücksichtigt werden.
Beschaffungsrecht zu lange irrelevant
Wie Früh und Koch betonen, steht die beschaffungsrechtliche Befassung mit dem wissenschaftlichen Publizieren noch ganz am Anfang. Dies ist auch meine Wahrnehmung.
Zwar operieren die Hochschulbibliotheken mit den Big Deals schon seit mehrere Jahrezehnten in Bereichen über den Schwellenwerten, in denen das Beschaffungsrecht Anwendung findet. Aufgrund des dysfunktionalen Marktes mit Oligopolen war jedoch auch immer klar, dass für die Beschaffung nicht substituierbarer wissenschaftlicher Literatur kein wettbewerbliches Verfahren möglich war. Thema war eher im Gegenteil, ob nicht ein Eingriff der Kartellbehörden nötig wäre um zu mehr Wettbewerb zu gelangen. Dokumentiert ist beispielsweise das Treffen des ETH-Ratspräsidenten mit der Wettbewerkommission im Mai 2012 zur Causa Elsevier.
Das Beschaffungsrecht wurde deshalb von vielen Hochschulbibliotheken als irrelevant betrachtet. Viele ignorierten deshalb auch die Pflicht, freihändige Vergaben zu deklarieren. Konsequenzen hatte das keine. Denn wo kein Kläger (und beim Beschaffungsrecht müssten das Mitbewerber sein), da kein Richter.
Ich bin dem Thema insbesondere bei der Universität Basel nachgegangen, wo ja das Appellationsgericht Basel-Stadt (2016) und das Bundesgericht (2017) anders als im Rest der Schweiz entschieden haben, dass die Öffentlichkeit nicht wissen darf, was die Universität an Elsevier, Wiley und Springer zahlt. Mein Einspruch, dass gemäss Beschaffungsrecht diese Beträge (sofern über den Schwellenwerten) sowieso hätten deklariert werden müssen wurde von den Gerichten stets ignoriert.
Selbst als ich mich der Universität Basel nach Beschaffungsrecht erkundigte, wurde ich mit einer Floskel abgespeist. Ich habe dies dann der Ombudsstelle gemeldet, die den Sachverhalt an die Finanzkontrolle für das nächste Audit bei der Universität Basel übergeben hat. Wie es weitergangen ist weiss ich nicht. Denn die Berichte der Finanzkontrolle sind für das kantonale Parlament bestimmt und werden nur öffentlich, wenn eine Mehrheit des Parlaments dies so beschliesst. Ich gehe aber stark davon aus, dass die Universität Basel damals einen Rüffel von der Finanzkontrolle erhalten hat.
Wachsendes Bewusstsein
Seither findet man auf simap.ch tatsächlich häufiger Informationen zu den freihändigen Beschaffungen von wissenschaftlichen Publikationen. Auf Bundesebene (ETH’s) gibt es seit 2022 zudem die Regel, dass Beschaffungen ab 50’000 Fr jährlich maschinenlesbar veröffentlicht werden müssen. Insgesamt ist somit das Beschaffungsrecht im Bewusstsein der Hochschulbibliotheken in den letzten Jahren sicher angekommen.
Aber ein Weiterdenken hinsichtlich der Nachhaltigkeitsprinzipien ist nötig. Auch die Frage, ob die bezahlten Preise der Leistung der Verlage entsprechen, sollte empirisch beantwortet werden.
Gerade mit Open Access hätten die Hochschulen auch eine historische Chance, wieder in ein wettbewerbliches Beschaffungswesen hineinzukommen. Sie könnten für ihre eigenen Publikationen Aufträge für Publikationsdienstleistungen ausschreiben, auf die sich dann mehrere Verlage bewerben können. Neben dem Preiswettbewerb hätte das den Vorteil, dass Hochschulen auch die formalen Anforderungen an die Qualitätssicherung, OA-Lizenz, technische Publikationsformate usw. mitbestimmen und bei der Zuschlagserteilung berücksichtigen können.
Der Beitrag von Früh und Koch stammt aus der suis-generis Reihe #unbequem die dem Wirken des 2022 unseres verstorbenen Kollegen Daniel Hürlimann gewidmet ist.
Nach einer ersten ernüchternde Analyse zum Schweizer Elsevier Read & Publish Agreement (2020-2023) im August 2020 ist es nach 18 Monaten Vertragslaufzeit Zeit für eine weiteres Update.
77% Auschöpfung des Kontingents von 2020
Die Befürchtung, dass das Kontingent von 2850 OA Artikel nicht annähernd ausgeschöpft wird, hat sich inzwischen etwas abgeschwächt, ist aber noch nicht vom Tisch. Aktuell (Juni 2021) ist ist das Kontingent von 2020 zu 77% ausgeschöpft, dasjenige von 2021 zu 9%.
Es zeigt sich, dass die Durchlaufszeit von Einreichung bis zur Publikation bei Elsevier wirklich sehr lange dauern kann. Im Mai 2021 wurden beispielsweise 283 Publikationen als Teil des Schweizer Agreements OA publiziert. Etwas mehr als die Hälfte davon sind noch Einreichungen aus den Jahr 2020.
Das heisst bis alle 2020 eingereichten Publikationen entweder publiziert oder abgelehnt wurden, und der Stand des Kontingents abschliessend beurteilt werden kann, dürfte es noch mehre Monate oder länger gehen.
Viele Schweizer Corresponding Author Papers bleiben Closed Access
Dabei liegt der tiefe Auschöpfungsgrad nicht daran, dass Schweizer AutorInnen weniger bei Elsevier publizieren. Vielmehr bleiben viele Publikationen, die eigentlich durch das Agreement Open Access sein könnten/sollten Closed Access. Mein Monitoring kommt inzwischen auf über 500 solcher Schweizer Corresponding Author Papers, deren summierter APC-Listenpreis 1.5 Mio € beträgt. Publikationen, bei denen Elsevier das Einreichedatum nicht veröffentlicht und deshalb die Eligibility von Aussen nicht sicher festgestellt werden kann, sind in dieser Liste noch nicht einmal enthalten. Beispiel: 10.1016/j.cagd.2021.102003
Wieso so viele Papers Closed Access sind, scheint mehrere Gründe zu haben. Von zwei AutorInnen habe ich das Feedback erhalten, dass die Option zu OA im Einreiche-Prozess nicht angezeigt wurde und somit der Verdacht besteht, dass die Identifikation der Affiliation bei Elsevier nicht zuverlässig funktioniert.
Weitere AutorInnen haben offenbar bewusst auf die OA Option verzichtet, weil sie Hybrid-Kosten befürchteten. Da die Schweizer OA-Community (insbesondere der SNF) seit 15 Jahren den Forschenden auf Hybrid und Double-Dip sensibilisiert ist dies eigentlich eine gute Nachricht.
Zwar können eligible Closed-Access Artikel nachträglich noch bei Elsevier für eine Öffnung gemeldet werden. Allerdings scheint das nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt möglich zu sein sein, und für eine wirksame Änderung müssen auch die AutorInnen aktiv werden, was diese (ähnlich wie die Ablage auf ein Repository bei Green OA) leider nicht immer tun.
Ein Drittel aller Schweizer Publikationen OA durch das Agreement
Relevant für das Agreement ist das Einreichedatum ab 1.1.2020. Das heisst, dass die Auswirkung verzögert eintritt und erst 2021 so langsam richtig abgeschätzt werden kann. Von den 3437 Publikationen, die 2021 mit einer Affiliation einer teilnehmenden Institution publiziert wurden, sind ein Drittel (1118) OA durch das Schweizer R&P-Agreement. Das entspricht 54% aller Schweizer Corresponding Author Publikationen.
Damit wird das Agreement dem eigenen Anspruch, nämlich mindestens für die OA-Stellung aller lokaler Corresponding Authors zu sorgen, nicht gerecht. Man muss allerdings beachten, dass dies inbesondere bei den Rahmenbedinungen von Elsevier auch nicht möglich wäre. Einerseits sind etliche Journals von Elsevier ja explizit vom Schweizer Agreement ausgenommen (z.B. Cell Press, verschiedene Society Journals). Anderseits führt die Möglichkeit, dass ein Artikel mehrere Corresponding Authors hat, und ein Autor oder Autorin mehrere Affiliations haben kann, durchaus schon zum Effekt, das Artikel über andere Institutionen OA werden.
Schaut man sich deshalb der OA-Status (via Unpaywall) der Schweizer Publikationen an, sieht es etwas tröstlicher aus. So sind immerhin 61% aller Corresponding- und Non-Corresponding Publikationen von 2021 in einer Form zugänglich.
Verzerrtes Kosten- und Nutzenverhältnis
Eine Steigerung auf 61% OA ist ohne Zweifel eine klare Verbesserung zu den reinen Abos. Doch die Kosten für diesen Schritt sind extrem hoch. Zurzeit liegt die PAR-Fee für das Jahr 2020 bei über 6000€. Sollte das Kontingent ganz ausgeschöpft werden wird die PAR-Fee bei 4500€ EUR zu stehen kommen.
Mit Blick auf die einzelnen Institutionen sieht man erwartungsgemäss bereits grosse Unterschiede zwischen dem historischen Subskriptionspreis und dem Preis gemäss Publikationsverhalten der eigenen AutorInnen.
Man darf gespannt sein wie die Bibliotheken die innerkonsortiale Preisverteilung für das dritte und vierte Vertragsjahr neu aushandeln werden.
Internationaler Vergleich
Wie ist das Schweizer Elsevier Agreement im internationalen Vergleich zu werten? Während der ETH-Rat vor 10 Jahren bei dieser Frage ergebnislos kapitulierte, haben wir heute glücklicherweise bessere Möglichkeiten zum Vergleich. Ich habe dazu meinen Ansatz, denn ich für das Monitoring des Schweizer Agreements begonnen habe, nun auch auf andere Länder (Niederlande, Schweden, Finland, Norwegen, Polen, Ungarn, Österreich und Dänemark) übertragen. Das Ergebnis ist unter https://oa-monitoring.ch/elsevier_monitor/ zugänglich.
Ich hoffe ich kann zu einem späteren Zeitpunkt ausführlich auf den internationalen Vergleich eingehen. Es fällt auf, dass das Phänomen, dass Publikationen die Open Access sein könnten bzw. solllten nicht frei zugänglich sind, sich bei allen Ländern zeigt. Bei Schweden sind es beispielsweise über 700 Artikel, was insofern unbefriedigend sein muss, da Schweden eigentlich ein „All you can publish“ Deal hat und im Agreement auch explizit ein Vorgehen mit Elsevier definiert hat, wie in im Falle nicht erkannter Publikationen vorzugehen ist.
Besser sieht die Situation in den Niederlanden aus, wo zwar auch noch viele Corresponding Author Papers Closed Access bleiben, jedoch für einen ähnlichen Preis massiv mehr OA-Publikationen enhalten sind.
Vergleicht man die Schweiz mit den Niederlanden und Schweden sieht man diesen Unterschied deutlich:
Da Elsevier bei Agreements ohne Limit die Publikationen nicht einem spezifischen Jahr zuweist, und manchmal das relevante Einreichedatum nicht öffentlich ist, kann die Aufteilung pro Jahr ungenau sein. Genauer wird der Vergleich wenn den ganzen Agreement-Zeitraum anschaut, also 2020 bis heute:
Da für alle 3 Länder das Einreichedatum relevant ist, wird sich die PAR-Fee sowohl für 2020 und 2021 weiter nach unten bewegen. Doch es zeigt sich bereits, dass die Schweizer praktisch doppelt soviel zahlen wie die Niederländer.
Fazit
Leider ändert sich an meinem Fazit vom letzten Jahr nicht viel. Die Verantwortlichen dieses Deals haben sich völlig unnötig auf etwas Halbgares eingelassen, mit dem niemand wirklich zufrieden sein kann. Zwar ist der Anstieg auf 61% OA erfreulich, aber nur solange man den Preis nicht kennt. Wenn ich zudem höre, dass Schweizer OA-Verantwortliche nun AutorInnen hinterherrennen müssen, wenn es bei der Einreichung mit OA nicht geklappt hat, ist man eigentlich am Punkt wo man ja gleich die 61% via Green Road OA ohne Embargo hätte erreichen können. Die Millionen hätte man in sinnvollere Alternativen stecken können.
Immerhin hat man bei swissuniversities erkannt, dass man durch den Fokus auf R&P Agreements Gold OA vernachlässigt hat. Vor kurzem wurden nationale Verhandlungen mit reinen Gold OA Verlagen, sowie die Stärkung von institutionellen Gold OA Funds angekündigt. Für Gold OA ist eine Kostenobergrenze von 2500 CHF vorgesehen. Wo war diese Obergrenze als man mit Elsevier den teuersten Schweizer Deal aller Zeiten eingegangen ist?
Das Read & Publish Agreement von swissuniversities mit Elsevier gilt für Publikationen, die ab dem 1. Januar 2020 bei Elsevier eingereicht werden. Allerdings wurde erst Ende Mai 2020 der Vertrag und die Liste der relevanten Journals offiziell kommuniziert.
Big-Deal mit einem OA-Addendum
Der Vertrag liest sich zunächst wie ein klassischer Big-Deal für Journal Subskriptionen. Die Schweizer Hochschulen gönnen sich einmal mehr für 4 Jahre Zugriff auf das gesamte Journal-Portfolio von Elsevier. In einem Addendum von anderthalb Seiten wird schliesslich der neue Workflow für OA-Publikationen beschrieben.
1.5 Seiten OA-Bedingungen
Demnach können alle AutorInnen der teilnehmenden Institutionen (Sämtliche Schweizer Hochschulen, sowie Agroscope, FIBL, Uni Liechtenstein und Schweizer Vogelwarte) im Hybrid und Gold OA Programm von Elsevier Open Access publizieren:
Jahr
Anzahl APCs inbegriffen
Preis R&P
PAR-fee*
2020
2850 APCs
13.8 Mio EUR
4842 EUR
2021
3000 APCs
14.1 Mio EUR
4692 EUR
2022
3150 APCs
14.4 Mio EUR
4558 EUR
2023
Unlimitiert (All you can publish)
14.6 Mio EUR
?
* Die PAR-fee (Read and Publishing fee) ist ein sehr grober Indikator, der zeigt wieviel Geld für die APC und dem noch bestehenden Lesezugriff pro Artikel ausgegeben wird (in Deutschland ist die PAR-fee bei Wiley beispielsweise 2750 EUR)
In den ersten drei Jahren, ist eine bestimmte Anzahl Artikel (APC’s) inbegriffen. Wird in einem Jahr weniger publiziert als vereinbart, verfällt das Kontingent. Wird mehr publiziert als vereinbart, werden die AutorInnen von Elsevier bei der Einreichung darauf hingewiesen und können dann entscheiden ob sie die Standard-APC für Hybrid oder Gold OA des jeweiligen Journals ausserhalb des Agreements zusätzlich bezahlen wollen.
Kontingent wird 2020 kaum ausgeschöpft werden.
Für das Jahr 2020 und dem Preis von 13.8 Mio EUR steht den Hochschulen ein Kontingent von 2850 APCs zu Verfügung.
Wieviele Publikationen bereits durch das Agreement veröffentlicht worden sind, lässt sich anhand von Metadaten bei Elsevier herausfinden (Najko Jahn 2019).
Demnach wurden bislang knapp 400 Publikationen unter dem neuen Agreement Open Access veröffentlicht.
Selbst wenn man berücksichtigt, dass nicht das Publikationsdatum, sondern das Einreichedatum relevant ist und deshalb die Publikationen von 2020 erst mit einer zeitlichen Verzögerung bis ins Jahr 2021 hinein sichtbar werden, ist diese Zahl überraschend tief. Mit etwa 30 Publikationen pro Woche wird man kaum in den Bereich gelangen, das Kontingent auszuschöpfen.
Pro Woche werden zwischen 20 und 30 Schweizer OA Artikel als Teil des Agreements publiziert.
Zu viele Papers sind nicht im Agreement
Wie die Gegenprobe zeigt, werden aktuell viele Artikel der involvierten Institutionen nicht über das Agreement veröffentlicht. Ich komme auf knapp 400 Corresponding Author-Papers. 75% sind in Journals publiziert, die auf der Liste des Agreement sind. Beschränkt man sich auf den Artikel-Typ „Full-length Papers“ sind zurzeit 169 Papers Closed Access, bei denen ich erwartet hätte, sie würden unter das Agreement fallen.
Entweder lehnen die Hochschulen viele Eingaben ab, oder die Papers werden von Elsevier gar nicht für das Agreement identifiziert und vorgeschlagen.
Desweiteren gibt es noch über 650 Papers, bei denen ein „Schweizer“ Co-Author, aber eben nicht Corresponding-Author ist. Diese Papers sind vom Agreement ausgeschlossen.
Insgesamt muss man deshalb konstatieren, das von den mindestens 1450 „Schweizer“ Papers, die seit 1.1.2020 bei Elsevier eingereicht und publiziert wurden, nur gerade 27% durch das neue Read & Publish Agreement frei zugänglich geworden sind.
Mirror Journals
Über das Agreement wurden bereits auch 10 Artikel in den sogenannten Mirror Journals publiziert. Hier hätte swissuniversities gut getan zu vereinbaren, dass Schweizer Corresponding Papers im Original-Journal, und nicht im Abklatsch-Journal landen. Hier ist man der dreisten Strategie von Elsevier, den Wechsel zu OA zu verzögern, einmal mehr voll auf den Leim gegangen.
Double Dip: Hybrid + Agreement
Auch gibt es Fälle bei dem die Hybrid Kosten nicht über das Agreement, sondern sehr wahrscheinlich über eine zusätzliche Rechnung an das Institut bezahlt wurde. Bestätigt weiss ich das von diesem Beispiel: http://doi.org/d6gt
Wenn nun das Kontingent nicht regulär ausgeschöpft wird, sind solche Fälle von Doppelzahlung, als die neue Art von Double Dip besonders ärgerlich.
Nur 42% CC-BY
Als grober Designfehler zeigt sich auch, dass man nicht zentral definiert hat, dass Artikel die über das Agreement veröffentlicht werden, immer eine CC-BY Lizenz haben. In dem man diese Wahl den AutorInnen überlässt, haben nun 58% der OA Artikel die Lizenz CC-BY-NC-ND, welche bekanntlich nicht mit der Berliner Erklärung kompatibel ist, die ja von swissuniversities, bzw. den einzelnen Hochschulen unterzeichnet wurde.
58% der AutorInnen wählen eine CC-BY-NC-ND Lizenz
Keine Qualitätsvorgaben
Ärgerlich ist auch, dass man es bei swissuniversities versäumt hat, klare Vorgaben hinsichtlich Qualität zu setzen. Sei das inhaltlich (z.B. Transparenz beim Peer-Review bzw. die Veröffentlichung von Peer-Review Reports) noch formal, wie z.B. die Ausgabe von vollständigen Metadaten. Elsevier verweigert ja bewusst, die Ausgabe von Zitationsdaten via Crossref. Ebenfalls liefert Elsevier keine Affiliations oder Abstracts an Crossref.
Halbherzige Transparenz
Und dann ist da noch das leidige Thema Transparenz. Zwar wurde der Vertragstext in weiten Teilen zugänglich gemacht, aber ausgerechnet bei den Kosten pro Institution, entschied man sich wieder intransparent zu bleiben:
Ungeachtet klarer früherer Entscheide, verweigern viele Hochschulen auf meine Anfragen die Auskunft. Dabei wird häufig unkritisch die Argumentation von Elsevier übernommen:
Anstatt mit 10 Minuten Aufwand Transparenz zu schaffen, sind sich viele Hochschulen (z.B. PHZH, ZHAW, UZH, UniFR, ZHDK, Lib4RI) nicht zu schade, sich selbst, mich und die Rekursinstanzen zu beschäftigen, indem sie die Ausgaben auf Anfrage nicht bekanntgeben und aussichtslose Verfahren provozieren. Immerhin gibt es doch auch einige Institutionen (z.B. UniSG, ETHZ, Agroscope, EPFL) die das Transparenzbedürfnis der Öffentlichkeit gegenüber den rein kommerziellen Interessen noch richtig abwägen können und die Zahlen nach langer Bearbeitungszeit bekannt gegeben haben.
Fazit
Wer diesen Blog seit längerem verfolgt weiss, dass ich mich in der Vergangenheit mehrfach für Read & Publish Agreements als realistischen Weg zu Open Access ausgesprochen habe (z.B. hier oder hier).
Dass meine damalige Forderung nun endlich umgesetzt wurde, stimmt mich leider nur halbwegs zufrieden. Das Agreement kommt viel zu spät und nun in einem Umfeld, bei dem sich die Parameter bereits wieder stark geändert haben (z.B. Sci-Hub, PlanS, Elsevier Abbestellung Deutschland).
Dem Agreement merkt man leider an wie es entstanden ist. Man hat sich viel zu lange von Elsevier hinhalten lassen, um dann kurz vor Ende 2019 zu etwas Halbgarem zuzustimmen, weil man nicht den Mut hatte neben Springer Nature auch Elsevier eine Abfuhr zu erteilen.
Besonders störend ist die Tatsache, dass man hier gleich einen 4-Jahres-Vertrag abgeschlossen hat. Hätte man nicht besser mit einem 1-2 Jahres-Vertrag anfangen können um Erfahrungen zu sammeln und Fehlentwicklungen, wie sie sich bereits abzeichnen noch korrigieren zu können? Nun hat man für vier Jahre alle Trümpfe aus der Hand gegeben und muss vielleicht auch noch bald Werbung für Hybrid-OA bei Elsevier machen, wenn sich die Publikationszahlen nicht so entwickeln, wie man dies antizipiert hat. Dabei wäre es ja eigentlich erstrebenswert, wenn weniger Schweizer AutorInnen in Hybrid-Journals von Elsevier, sondern in richtigen Open Access Journals publizieren. Das Signal welches dieses Agreement für richtige Gold Open Access Verlage aussendet ist zudem fatal. Ohne öffentliche Ausschreibung wird Elsevier ein Mega-Auftrag zugeschanzt, während man diejenigen Verlage, die sich seit Jahren tatsächlich um OA bemühen und dies auch günstiger liefern können, links liegen lässt.
Mit einer PAR Fee von über 4500 EUR ist man zudem auf einem bereits extrem hohen Preisniveau, das einmal mehr eindrücklich zeigt, dass OA in der Schweiz nicht am Geld scheitert.
Man hat sich nun mit dem Geld 30% OA bei Elsevier gekauft. Für die 100% die swissuniversities bis 2024 erreichen will, muss aber noch sehr viel passieren.
Aktuell machen Gerüchte über die Planung einer Executive Order der US-Administration zum Thema Open Access die Runde: Wie das Blog The Scholarly Kitchen berichtet, soll eine Verordnung in Arbeit sein, die die US-Behörden verpflichten würde, eine „zero embargo“ Open-Access-Policy umzusetzen. Eine Executive Order ist eine Durchführungsverordnung der US-Regierung, die ohne weitere Abstimmungen im Kongress rechtlich bindend verankert werden kann.
Die aktuelle Policy der US-Regierung aus dem Jahr 2013 sieht eine Embargoperiode von 12 Monaten vor (PDF). Sie gilt für die forschenden und forschungsfördernden Behörden in den USA wie z. B. die Weltraumbehörde NASA und die National Institutes of Health (NIH). Eine Übersicht der Implementierungen dieser Policy in den einzelnen US-Behörden bietet Science.gov.
Gestern hat nun die Association of American Publishers (AAP) einen offene Brief veröffentlicht, der von über 125 Fachgesellschaften und Verlagen (u. a. Elsevier und Wiley) unterzeichnet wurde und vor der Verankerung einer solchen Open-Access-Policy warnt. In einer begleitenden Pressemitteilung des Verlagsverbandes AAP heißt es:
„In a new major letter signaling deep concern, more than 125 organizations – representing publishers in scientific and medical societies, global companies, and the U.S. Chamber of Commerce – have expressed their strong opposition to a proposed Administration policy that would mandate immediate free distribution of peer-reviewed journal articles reporting on federally funded research.“
In dem offenen Brief (PDF) schildern die Verlage und verlegerisch tätigen Fachgesellschaften ihre Bedenken gegen das Vorhaben:
„Going below the current 12 month “embargo” would make it very difficult for most American publishers to invest in publishing these articles. As a consequence, it would place increased financial responsibility on the government through diverted federal research grant funds or additional monies to underwrite the important value added by publishing. In the coming years, this cost shift would place billions of dollars of new and additional burden on taxpayers. In the process, such a policy would undermine American jobs, exports, innovation, and intellectual property.“
In der Pressemitteilung findet sich die völlig absurde Behauptung, dass im aktuellen wissenschaftlichen Publikationssystem keine Kosten für die/den Steuerzahler*in anfallen:
„Hundreds of non-profit and commercial publishers across America make significant investments, at no cost to taxpayers, to finance the peer-review, publication, distribution, and long-term stewardship of these articles.“
Dabei sind die steuerfinanzierten US-Behörden zentrale Kunden der Verlagsdienstleistungen.
Interessanterweise wird in dem Schreiben der Verlage auch der Umgang mit Forschungsdaten adressiert. Dazu stellen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefes fest:
„We write to express our strong opposition to this proposal, but in doing so we want to underscore that publishers make no claims to research data resulting from federal funding.“
Auch wurde ein Brief (PDF) des US-Senator Thom Tillis (R-NC), Chairman of the Senate Judiciary Intellectual Property Subcommittee, an die US-Administration veröffentlicht, in dem dieser seine Bedenken gegen das Vorhaben äußert.
Dass mit der Herausgabe von Open-Access-Zeitschriften und so mit den Bedingungen einer „zero embargo“ Open-Access-Policy durchaus Geld zu verdienen ist, wie viele Open-Access-Verlage beweisen, unterschlagen die Verlage in ihrer Positionierung völlig. Auffallend ist auch, dass der Verlag Springer Nature, der sich selbst als „largest OA publisher“ bezeichnet, das Schreiben nicht unterzeichnet hat. Auch die wohl größte Fachgesellschaft in den USA, die American Association for the Advancement of Science (AAAS), trägt das Schreiben nicht mit.
In der sogenannten “cOAlition S” arbeiten bereits einige Forschungsförderer, u. a. die Europäischen Kommission, der Europäischen Forschungsrat (ERC) und die Weltgesundheitsorganisation WHO, an der Umsetzung einer „zero embargo“ Open-Access-Policy namens “Plan S”, die ab 2021 in Kraft treten wird. Mittelempfängerinnen und -empfänger dieser Förderorganisationen müssen ab dem 01.01.2021 Ergebnisse aus geförderten Projekten in offen zugänglichen Open-Access-Zeitschriften oder -Repositorien unter „zero embargo“-Bedingungen veröffentlichen.
Es bleibt spannend! Jedoch: Gerücht ist Gerücht und nicht mehr!
Der wirklich grosse Big Bang ist in der Schweiz ausgeblieben. Dennoch kündigen nun alle Schweizer Hochschulen ihren Big Deal mit Springer Nature (inkl. Nature Journals). Wie Swissuniversities bekannt gibt, konnte Springer Nature nun nach über 1.5 Jahren Verhandlung kein passendes Angebot liefern.
Obwohl mit Wiley ebenfalls seit einem Jahr verhandelt wird, verlängern hier die Schweizer Hochschulen unverständlicherweise den Big Deal ohne hinsichtlich Open Access etwas erreicht zu haben.
Bei Elsevier hat man in einem Jahr Verhandlung ebenfalls noch kein Agreement erreicht. Immerhin besteht ein Memorandum of Understanding, dass man im März 2020 ein Read & Publish Agreement haben will, dass dann wohl für die Schweizer Einreichungen ab Januar 2020 gültig sein soll.
Swissuniversities bewahrt Rest-Glaubwürdigkeit
Mit der Absage an Springer Nature sichern sich die Schweizer Hochschulen das bisschen Glaubwürdigkeit, dass ihnen im Dossier Open Access verblieben ist. Seit Jahren zeige ich in diesem Blog auf, wie Bibliotheken mit einem ausgeprägtem Stockholm-Syndrom jeweils immer mehr für Subskriptionen zahlen und dann in der Konsequenz bei OA nicht weiterkommen. Ende 2014 habe ich auf das erste Read & Publish Agreement mit Springer in den Niederlanden hingewiesen. Eigentlich hätte man schon 2015 bei einem Verzicht auf die unnötigen Nationallizenzen (ironischerweise auch mit Springer) Richtung OA abbiegen können. 2017 habe ich am Beispiel Springer vorgerechnet, dass ein OA Agreement ab 2018 durchaus für beide Seiten drin liegt oder man ansonsten Springer den Laufpass geben soll.
Meine Freude, dass nun die Entscheidungsträger an den Hochschulen nun endlich auch zu diesem Schluss gekommen sind, wird durch das Wissen getrübt, dass durch dieses unverständliche Zögern, weitere 10 Mio CHF öffentliche Gelder und wertvolle Zeit verschwendet worden sind.
Unverständlicher Wiley-Big Deal
Leider geht die Verschwendung bei Wiley weiter. Es werden 2020 wieder öffentliche Gelder an Wiley fliessen, ohne dafür OA zu erhalten. Anders als bei der inkonsequenten Verlängerung des Big-Deals mit Springer Nature letztes Jahr, hat man nun mit Wiley ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, welches erst 2021 vielleicht zu einem Read & Publish Agreement führt.
Wieso man ein Read & Publish Agreement (z.B. analog zu Schweden) nicht schon dieses Jahr verlangt hat und im Falle einer Verweigerung durch das Wiley-Management den Big Deal konsequent aufkündigt ist unverständlich und zeigt, dass man die kommerzielle Natur eines börsenkotierten Verlages offenbar immer noch nicht verstanden hat.
Vielleicht auch deshalb gab swissuniversities der Pressemeldung den merkwürdigen Titel: swissuniversities definiert Beziehungen mit den Verlagen, als ob diese Beziehung irgend anderes definiert sein könnte, als ein Dienstleister-Kunden Verhältnis.
Elsevier Read and Publish Agreement
Beim angekündigten OA Big-Deal wird der Preis entscheidend sein, um den Deal zu beurteilen. Die erste Generation von Big Deals mit OA-Komponenten bei Elsevier (e.g. Niederlande, Finnland) waren nicht wirklich befriedigend, da sie nur Discounts auf APCs gewährten. Die zweite Generation (Polen, Norwegen, Ungarn, Schweden, Carnegie Mellon) sind bezüglich OA viel umfangreicher, jedoch häufig sehr teuer und teilweise mit dem Kauf von Analytics (Scopus, SciVal) verbunden. Vermutlich der „beste“ Deal dürfte zurzeit Schweden haben, da man dort Elsevier schon einmal deutlich Nein gesagt hat. Hier wird sich zeigen, ob sich die Schweizer Hochschulen mit der bisherigen Haltung (viel Geld, aber wenig Mut und Rückgrat) einen anständigen Deal herausgeschlagen haben. Zudem lässt der andauernde Boykott der deutschen Hochschulen und der University of California auch erahnen, dass Elsevier aktuell nicht bereit ist, unter einem gewissen Preis in diese Agreements einzusteigen.
Kleiner historischer Moment und grosse Chance
In Anbetracht, dass die Universität Basel 2017 noch vor Bundesgericht mit dem Argument überzeugte, ohne die Subskriptionen von Elsevier, Wiley und Springer können sie ihren Forschungsauftrag nicht mehr wahrnehmen, ist die nun angekündigte Abbestellung der Springer Nature Journals geradezu ein kleiner historischer Moment.
Bestimmt auch ein Moment, der bei einigen BibliothekarInnen Sorgen erweckt, da sie einerseits diesen Entscheid gegenüber ihren Forschenden verteidigen müssen und anderseits ihr bisheriges Rollenverständnis als Gatekeeper aufgerüttelt wird.
Das Risiko eines Aufschrei der Wissenschaft ist klein. Die Nutzung von Sci-Hub ist in der Schweiz legal und mit dem neuen Core-Browser-Plugin gibt es neu sogar Konkurrenz zu Unpaywall um OA-Versionen zu finden. Die Abbestellung entlastet swissuniversities zudem bei ihrer vorgesehenen Massnahme „Kommunikation und Sensibilisierung“ zu OA. Denn jetzt wird das Thema in die hintersten Ecken ankommen auch ohne, dass man teuere PR-Massnahmen betreibt, die letztlich nur diejenigen 20% Forschenden erreicht, die von OA eh schon überzeugt sind.
An den letzten OA-Tagen in Hannover war es für mich zudem ein grosses Highlight festzustellen, dass inzwischen sehr viele Beteiligte mit dem deutschen OA-Big-Deal mit Wiley unzufrieden sind. Die positiven Erfahrungen mit der Abbestellung von Elsevier führt in Deutschland offensichtlich zu einer Lust mit dem Subskriptionsmodell ganz zu brechen.
Die Lust könnte sich in der Schweiz auch einstellen, wenn man nun mit der Abbestellung von Springer Nature sieht, dass der Kaiser eigentlich nackt ist.
Update: 19.12.2019
Springer Nature bekundet auf Twitter, dass der Zugang bis auf weiteres für die Schweizer Forschenden gegeben ist. Oh ja, der Kaiser ist sehr nackt!
We’re highly disappointed that thus far we’ve been unable to reach an agreement with @CH_universities for 2020. We’re continuing discussions and Swiss researchers will still be able to access all our existing and newly published 2020 journal content until further notice.
Nachdem Elsevier nicht auf die Open-Access-Forderungen des schwedischen Konsortiums eingegangen ist, hat das Konsortium beschlossen, den Elsevier-Vertrag nicht fortzusetzen. Forscher/innen in Schweden verlieren den unmittelbaren institutionellen Zugriff auf neue Elsevier-Inhalte. Die Open-Access-Forderungen in Schweden ähneln denen des deutschen DEAL-Projekts.
Bis 2026 möchte Schweden kompletten und unmittelbaren freien Zugang zu Forschungspublikationen erhalten. Dazu wird in nationalen Konsortialverhandlungen auf eine Open-Access-Transformation gedrängt. Das schwedische Konsortium Bibsam hat in den Verhandlungen mit Elsevier folgende Ziele verfolgt:
unmittelbaren Open Access zu den Publikationen zugehöriger Autor/innen (aus den teilnehmenden Institutionen) in Elsevier-Zeitschriften („publish“)
lesenden Zugriff für alle zugehörigen Wissenschaftler/innen auf alle Elsevier-Zeitschrifteninhalte („read“)
ein nachhaltiges Kostenmodell
Die Ziele entsprechen denen, die im deutschen DEAL-Projekt für die Verhandlungen mit Elsevier, Springer Nature und Wiley aufgestellt worden sind. Ähnlich wie in Deutschland hat Elsevier kein passendes Angebot unterbreitet, und das schwedische Konsortium wird nun den Vertrag nicht erneuern (Pressemitteilung).
Einige Punkte sind besonders interessant:
Es ist ein weiterer nationaler Elsevier-Vertrag, der platzt. Eine SPARC-Seite verfolgt die gekündigten big deals, inklusive DEAL und vieler anderer Verträge. Unter den Verlagen, deren Open-Access-Angebote nicht ausreichten, findet sich auch Springer. In Frankreich gibt es kein neues Springer-Konsortium, und auch in Deutschland gibt es bisher nur Zwischenstände.
Ähnliche Forderungen in verschiedenen Konsortien/Ländern mögen am Ende helfen – ein Einwand von Verlagen ist häufig, dass keine gesonderten Modelle für einzelne Länder erstellt werden könnten.
Das schwedische Konsortium betont die Notwendigkeit nicht nur eines nachhaltigen Kostenmodells, sondern auch eines verlässlichen Monitorings – weil die Kosten („total cost of publication“) bereits jetzt zu stark und zu wenig transparent stiegen. Steigende Lizenzkosten und zusätzliche APC-Zahlungen für Open Access werden auch in Schweden als Problem gesehen.
Das schwedische Konsortium weist die Wissenschaftler/innen darauf hin, wie sie auch ohne Elsevier-Vertrag auf viele kommende Elsevier-Publikationen zugreifen können: durch automatische Tools, die Open-Access-Versionen finden, durch Anfragen an andere Kolleg/innen sowie per Fernleihe.
Die bisherigen Elsevier-Lizenzkosten lagen laut Meldung bei etwa 12 Millionen EUR pro Jahr, hinzu kamen 2017 1,3 Millionen EUR für Open-Access-Artikelkosten (APC). (Ein Teil dieser Kosten ist in der Open-APC-Datensammlung nachgewiesen bzw. im schwedischen Nachbau Open APC Sweden.)
Wer „Article Processing Charge“ (APC) hört, denkt wahrscheinlich unweigerlich an Gold OA. In der Tat hat sich das APC-basierte Geschäftsmodell insbesondere bei den volumenstarken Gold OA Journals durchgesetzt und steht fälschlicherweise schon fast synonym zu Gold OA.
In der aktuellen Debatte über Vor- und Nachteile von APCs und der Transformation zu OA, wird häufig unterschlagen, dass in einigen Disziplinen bereits schon seit langer Zeit APCs in teils beachtlicher Höhe bezahlt werden. Diese haben aber NICHTS mit Open Access zu tun. Hier ein paar Beispiele aus der Praxis:
American Geophysical Union (AGU) – Wiley
Besonders aktiv im Geschäft mit solchen Non-OA Publication Charges ist die AGU die ihre Journals bei Wiley verlegt. Pro Closed-Access Artikel können gerne schon mal $4125 fällig werden:
Authors in several AGU journals are asked to help support publication through payment of author fees. Publication fees vary by journal and were designed to keep institutional subscriptions affordable for these journals. Excess page fees are in addition to the standard journal fee.
Für seine Journals sind dann Publication Fees bis $1000 fällig. Dazu kommen dann „Excess Fees“ von je $125 pro Publication Unit.
Angewandete Chemie – Wiley
Beim Journal Angewandte Chemie, welches der Gesellschaft Deutscher Chemiker gehört und von Wiley verlegt wird, können auch mal schnell 1344€ fällig werden, wenn man dem Verlag eine gute Grafik zur Verwendung für das Cover zu Verfügung stellt und weitere 623€ wenn man in seinem Artikel Farbabbildungen verwendet:
Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEE)
Diese kommen noch dem Print-Zeitalter. In einem Editorial von 1972 findet sich beispielsweise dieser Aufruf:
Der Betrag von $60 pro Seite hat sich inzwischen nahezu verdoppelt, wie der Auszug aus der Author Information der IEEE Signal Processing Society zeigt:
Upon acceptance of a manuscript for publication, the author(s) or his/her/their company or institution will be asked to pay a charge of $110 per page to cover part of the cost of publication of the first ten pages that comprise the standard length (two pages, in the case of Correspondences).
Voluntary page-charge contributions help defray the cost of editorial preparation and composition. These charges assist OSA in maintaining comparatively low subscription rates for OSA members and libraries, thus maximizing the dissemination of research results. Payment is neither an obligation nor a prerequisite for publication. In general, publication charges are regarded as an essential part of research budgets, since publication is the final process in a research project. As such, OSA asks authors to consider making voluntary contributions ($125 per page) in partial support of their research and to offset fundamental costs attached to its publication.
Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)
Bei PNAS sind alle Artikel nach 6 Monaten frei auf der Journal Website zugänglich. Für eine klassische Subskriptionszeitschrift tönt das grosszügig. Zumindest wenn man nicht weiss, dass PNAS eben nicht nur Geld via Subskription einnimmt, sondern seinen AutorInnen auch standardmässig eine gesalzene Publikationsgebühr verrechnet:
1700$ sind es bei einem „Regular research article“. Bei einem „PNAS Plus article“ können es auch schon 2830$ sein. Dieser Preis kann sich dann noch erhöhen, wenn Color Figures oder Supplemental Information dazu kommen.
Kidney International – Elsevier
Auch bei Elsevier kennt man Page Charges, so z.B. beim Journal „Kidney International“ der International Society of Nephrology.
Page charges cover a proportion of the costs of processing and producing the article for publication. After final layout for publication, each page of an article will incur a fixed charge of US$165 per page.
SpringerNature
Im Journal „Nature Climate Change“ von SpringerNature kosten 5 Color Figures £1230.
American Phyiscal Society (APS)
Auch Journals wie Physical Review Letters oder Physical Review B verlangen Author Fees:
Gemäss APS scheinen die Kosten offenbar (neu?) bei denen angewendet zu werden, welche das Manuskript nicht in einer akzeptablen Form einreichen:
To help defray editorial and production expenses, authors of manuscripts that are not submitted in acceptable electronic format are expected to pay a publication charge of $1585/article, $990/Rapid Communication, $360/Comment or Reply
FASEB Journal
Das Journal der Federation of American Societies for Experimental Biology verlangt $199 pro Seite, sowie $199 für Supplemental Units:
A supplemental unit is defined as one 8.5 x 11 inch page of text or figures with 1 inch margins using Times New Roman, Courier, Arial, Calibri, and/or Tahoma fonts at 9 points or larger. For multimedia files (i.e. audio or video), each file is considered one unit.
Fazit
Diese Beispiele zeigen, dass bei diversen Journals AutorInnen schon heute beachtliche Kosten für ihre Artikel selber tragen müssen und die Publikation anschliessend nicht OA ist. Für UK schätzt Andrew Gray in der Publikation Considering Non-Open Access Publication Charges in the “Total Cost of Publication” (2015) diese Non-OA Publikationskosten auf etwa 2% der gesamten Subskriptionskosten.
Allerdings werden diese Kosten sinnvollerweise pro Journal betrachtet, wo sie natürlich einen grösseren Effekt haben. Möglicherweise ist auf dieser Ebene der Schritt zur vollständig Umstellung zu Gold OA mit APCs gar nicht mehr so weit.
Jüngst geschehen bei den Zeitschriften „Journal of Glaciology“ und „Annals of Glaciology“ der International Glaciological Society. Bis 2016 verlangte die Society entweder eine Hybrid APC von £2300 oder eine Page Charge von £90 bzw. £80 pro Seite. Seit 2016 sind beide Journals Gold OA mit einer APC von £1200 verlegt bei CUP.
Wenn AutorInnen schon zahlen sollen, dann bitte doch gleich für Gold OA. Das wäre einfach ehrlicher und transparenter.
Update 11.01.2017
Wie ich gerade bemerke hat AIP soeben bekannt gegeben auf Page Charges künftig zu verzichten:
The company’s decision followed an assessment of the global publishing landscape, which found that the charges represented potential barriers to some researchers, and no longer serve the AIP Publishing non-profit mission.
Über drei Jahre musste Mark C. Wilson auf den erlösenden Entscheid des neuseeländischen Ombudsmann warten. Wilson hatte beim Ombudsmann Beschwerde eingereicht, nachdem sich verschiedene neuseeländische Universitäten, weigerten ihre Zahlungen an die grossen Verlage auf seine Anfrage hin offen zulegen, da sie gegenüber den Verlagen die zugesicherte Vertraulichkeit einhalten wollten.
Wilson beschriebt auf seinen Blog den durchlaufenen Prozess als sehr mühsam:
The process was long and required persistence. I count at least 36 emails and several phone conversations. I commented on the preliminary report earlier this year, and the large publishers certainly had considerable input. […] Gratifyingly, it ruled unambiguously that the commercial interests of the publishers and universities were outweighed by the public’s right to know. The universities have all complied, supplying me with the amounts spent on journals from Elsevier, Springer, Wiley and Taylor & Francis for years 2013-2016 inclusive. There are several other problematic publishers, notably the American Chemical Society, but I had to stop somewhere. I hope that others can continue this work in NZ and other jurisdictions.
Die Daten zeigen auf Anhieb nichts Überraschendes:
The total amount of money spent on just 4 publishers is substantial, around US$14.9M in 2016.
The mean expenditure per academic/research staff member in 2016 is around US$1800.
University of Canterbury is getting a much worse deal than the others, 35% above the mean.
The rate of increase of subscription costs (17%) over the period clearly exceeds the Consumer Price Index inflation rate over the period (2-3% in NZ, USA and Europe).
The publisher with highest percentage increase over the period was Taylor & Francis (33%).
Wilson, seit 2002 Senior Lecturer an der University of Auckland, liess sich 2014 durch Gowers Transparenzanfragen in UK inspirieren. Er ist ein starker Unterstützer von FairOA und sähe gerne Journals wieder in der Kontrolle der Wissenschaft.
Der Verband der Wissenschaftsverlage STM hat die Kanzlei Caemmerer Lenz beauftragt, das unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beliebte soziale Netzwerk ResearchGate anzugehen.
In einem Schreiben (PDF) fordert die Kanzlei das Berliner Start-Up auf, gemeinsam mit dem STM-Verband ein “new system” zu implementieren, dass sicherstelle, dass Fachartikel nur noch nach Zustimmung der von STM vertretenen Verlage auf der Plattform geteilt werden. Stimmt ResearchGate der Implementierung dieses Systems nicht zu, drohen die Wissenschaftsverlage mit Klagen.
Auf der von Angela Merkel gelobten und von Bill Gates mitfinanzierten Plattform können Forschende Artikel und Forschungsdaten teilen. Laut eigenen Angaben nutzen über 13 Millionen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 193 Ländern das Netzwerk und teilen dort über 100 Millionen Artikel. Darunter auch 63 Nobelpreisträgerinnen und -träger.
ResearchGate selbst übernimmt – im Gegensatz zu den Open-Access-Repositorien an wissenschaftlichen Einrichtungen – bei der öffentlichen Zugänglichmachung der Fachartikel keine Prüfung der jeweiligen Rechtesituation, informiert jedoch auf Basis der Datenbank “SHERPA RoMEO” über die Möglichkeiten des “self-archiving”. Diese Datenbank gibt Auskunft, ob und unter welchen Bedingungen die Zweitveröffentlichung eines Artikels möglich ist.
Laut einer Studie von Jamali aus dem Februar 2017 werden knapp über 50 Prozent der Artikel auf ResearchGate ohne Zustimmung der Verlage zugänglich gemacht. Verständlicherweise befassen sich nur wenige Forschende mit der Rechtesituation ihrer Artikel, ihr Ziel ist die optimale Sichtbarkeit ihrer Ergebnisse sowie die umfassende Darstellung ihrer Forschungsleistung im Web. Jamali berücksichtigt in seiner Studie im Fachjournal Scientometrics jedoch nicht die deutsche Rechtslage, die durch das Zweitveröffentlichungsrecht nach § 38 UrhG durchaus die öffentliche Zugänglichmachung – unter bestimmten Umständen – erlaubt und damit auch auf ResearchGate wirkt.
Wenig überraschend wird das Vorgehen des STM-Verbandes insbesondere durch den Verlagsgiganten Elsevier befeuert, der sich aktuell bereits mit dem gesamten deutschen Wissenschaftsbetrieb im Streit befindet (172 Kündigungen) und sich über die letzten Jahre in der wissenschaftlichen Community sehr unbeliebt gemacht hat.
Während STM zu der Causa gegen ResearchGate nicht informiert, begrüßt Elsevier das Vorgehen in einer Pressemitteilung und macht auch gleich das Schreiben der Kanzlei an ResearchGate öffentlich. Auch die deutschen STM-Mitglieder De Gruyter, Hogrefe oder die Thieme Publishing Group halten sich bedeckt. Offenbar wird ein möglicher Imageschaden durch eine Klage gegen das beliebte Netzwerk befürchtet.
Siehe auch die lesenswerte Zusammenfassung von David Pachali auf irights.info.