„Pay it Forward“-Studie

Wie wird sich ein globaler Wechsel zu Gold OA basierend auf Article Processing Charges (APCs) finanziell auf forschungsintensive Universitäten auswirken?  Die mit einem 800’000$-Grant der Mellon-Foundation unterstützte Studie „Pay it Foward“ (185 Seiten) ging dieser Frage an den Beispielen der grossen nordamerikanischen Universitäten British Columbia, California, Harvard und Ohio State nach.

Ermittlung Forschungsoutput über Scopus und Web of Science

Für die einzelnen Universitäten wurden zunächst aus Scopus und Web of Science Daten über das Publikationsverhalten der Universitäten ermittelt. Im Fokus standen Zeitschriftenartikel (inkl. Reviews) und Konferenzbeiträge von 2009-2013. Mit spezieller Unterstützung durch Elsevier und Thomson Reuters wurde die institutionelle Zugehörigkeit von AutorInnen und Corresponding-Authors identifiziert. Je nach Messmethode (Umgang mit Corresponding Authors, die mehrere Affiliations haben) und Datenbank wurde eine Corresponding-Author-Quote zwischen 45-61 Prozent ermittelt. Dieser Anteil deckt sich mit den Erfahrungen der Max Planck Digital Library. In einem weiteren Schritt wurden die Daten von Scopus mit denen von Web of Science zusammengeführt.

Übrigens: Den Rohdaten von Web of Science (WoS_aggregate.csv) ist zu entnehmen, dass 7.5% (26’355 von 354’556) Dokumente in WoS als Gold Open Access gekennzeichnet wurden.

Ermittlung Subskriptions- und Open Access Bezahlungen.

Aufgrund einer „in-scope Titel Liste“ (ohne Aggregatoren oder Backfile-Einkäufe) wurde bei den Bibliotheken die Subskriptionsausgaben (nach Rechnungsjahren) gesammelt. Die Zahlen zeigten, dass inzwischen weit über 90% der betrachteten Ausgaben nur für e-only aufgewendet werden. Bei der University of British Columbia im Jahre 2013 bereits 97%. Für den weiteren Studienverlauf wurde deshalb auf eine Unterscheidung von Print und Elektronisch verzichtet. Zusätzlich wurden die Ausgaben für Open Access in Form von Verlags-Mitgliedschaften oder APC-Zahlungen erfasst. Insgesamt wurde im Jahr 2013 von allen Hochschulbibliotheken gut 50 Millionen Dollar für Subskriptionen bezahlt, für Gold OA jedoch bloss $365’000!

Ermittlung realistischer Article Processing Charges (APCs)

Um herauszufinden welche Kosten auf die Universitäten zukämen, wenn künftig die Publikationen überwiegend per APCs bezahlt werden müssten, wollte man von möglichst realistischen APCs ausgehen. Es wurde versucht sich dem „richtigen“ Preis von verschiedenen Seiten zu nähern.

a) tatsächlich bezahlte APCs (Open Data)

Die Daten der veröffentlichten Zahlungen des RCUK, Wellcome Trust, von Deutschen Universitäten (Siehe auch neue Analyse Jahn & Tullney 2016) sowie des FWF wurden herangezogen und auf die projekteigene Disziplinenliste aufgeschlüsselt.

APC-Payment European Payments

Hier ergab sich eine durchschnittliche APC von $1865.

b) Preisangaben der Verlage/Journals.

Durch die Studien Solomon und Björk (2012) und Morrison et al. (2015) standen bereits nutzbare Daten zur Verfügung, was Verlage/Journals auf ihren Webseiten für Preise angaben. Für die weitere Auswertung wurden die Daten von Morrison et al. durch das Studienteam zu Beginn 2016 auf den neusten Stand gebracht und auf die aus WoS/Scopus extrahierten Publikationen bzw. die eigenen Disziplinen gemappt:apcs_pricing

Hier ergab sich eine durchschnittliche APC von $1864 auf Journal-Level, bzw. $1892 auf Artikelebene. Wie auch schon bei der Analyse der europäischen APCs erweist sich eine disziplinspezifische Betrachtung aufgrund ungleicher Verteilung (kaum Daten bei den Geistes- und Sozialwissenschaften oder der Ökonomie) als wenig aussagekräftig. Eine ausführliche Analyse zu diesen APCs wurde inzwischen auch ausgelagert veröffentlicht (Solomon & Björk 2016).

Eine Kategorisierung der OA-Publikationen nach Bezahlmodell zeigt sehr deutlich die heutige Dominanz des APC-Modells: 89% von 22’209 OA-Artikel sind in APCs-basierten Zeitschriften publiziert worden. Diese Tatsache relativiert das trügerische Bild, welches sich aus der Betrachtung von Journals im DOAJ ergibt, wonach eine Mehrheit der dort verzeichneten Journals keine APC verlangt.

OA Journals used.jpg

In was für Open Access Journals publizieren AutorInnen der Universitäten British Columbia, California, Harvard und Ohio State?
Eine Kategorisierung der OA-Journals in denen im Zeitraum 2009-2013 mindesten 10 Artikel erschienen sind.

Interessanterweise weisen die Bibliotheken insgesamt nur Ausgaben von $365’000 für Open Access ($159’000 OA memberships + $206’000 APC Payments) aus. Daraus lässt sich klar schliessen, dass das Geld, das AutorInnen für Open Access bisher aufgewendet haben, nur zu einem winzigen Teil von den Bibliotheken stammt. D.h. auch die nordamerikanischen Bibliotheken haben es in den vergangenen Jahren verschlafen, das wachsende Bedürfnis nach finanzieller Unterstützung beim OA-Publizieren anzugehen.

c) Preisberechnung mit Source Normalized Impact per Paper (SNIP)

Nun ist es kein Geheimnis, dass insbesondere kommerzielle Verlage zurzeit ihre Preise nicht an ihren realen Kosten, sondern häufig an der Reputation (Impact Factor) ihrer Journals ausrichten.

Die „Pay it forward“-Studie hat diese gängige Preissetzung untersucht und eine positive Korrelation zwischen der Höhe der APC und der „Qualität“ gemessen als Source Normalized Impact per Paper (SNIP ; = Elseviers offenes Pendant zum Impact Factor) eines Journals festgestellt. Nach einer Regressionsanalyse getrauen sich die StudienautorInnen sogar eine Formel bekannt zu geben, mit welcher sich für jedes Journal mit einem SNIP die voraussichtliche APC ausrechnen lässt.

APC = 1147.68 + 709.4 * SNIP

Beispiel: Für das Journal Water Research (IF 6 / SNIP 2.4) wäre die APC demzufolge:

1147.68+ 709 * 2.4 = 2849 USD

(Wobei Elsevier heute im Hybrid-Modus interessanterweise 3500$ verlangt).

d) effektive Verlagskosten

Aus der Literatur und teils anonymen Quellen der Verlagsindustrie, den Steuerangaben von Non-Profit-Verlagen in den USA (990 Tax Form) und einer Umfrage bei der Association of Learned & Professional Society Publishers (ALPSP) versuchten die Studienautorinnen ebenfalls die effektiven Verlagskosten in Erfahrung zu bringen.

effektive-kosten

Man erkennt schnell, dass keine Klarheit über die effektiven Kosten besteht. Ein ähnliches Resultat hatte schon der Beitrag „The true cost of science publishing“ ergeben. Die Pay it Forward-Studie legt jedoch nahe, dass mit mindestens $1000 Dollar als Kosten eines Artikel gerechnet werden muss.

Ermittlung Break-Even APCs

Mit dem verfügbaren Subskriptionenbudget der Bibliothek und dem Publikationsverhalten konnte pro Hochschule Break-Even APCs ausgerechnet werden. Dabei wurde vorsichtshalber davon ausgegangen, dass künftig für alle Artikel eine APC bezahlt werden müsste:

Break-even points

Man sieht schnell, dass der Umstieg für auf ein vollständig APC basiertes Modell alleine mit dem heute eingesetzten Bibliotheksbudget und dem heutigen Durchschnittspreis von ca. 1850$ pro APC für die meisten Universitäten finanziell nicht möglich sein wird.

Verschiedene Finanzierungsmodelle für eine Gold OA Welt

Die Studie geht deshalb in Folge davon aus, dass bei einer Umstellung zu Gold OA das Geld zunehmend auch von anderen Quellen, insbesondere die von Forschungsförderer kommen muss. Es werden verschiedene Modelle skizziert, wie bei einem Wechsel auf Gold OA die Kosten für APCs zwischen Bibliothek, Forschungsförderer und anderen Geldquellen sinnvoll aufgeteilt werden können. Ein wesentliches Element dieser Modelle ist der stärkere finanzielle Einbezug der Forschenden. Die Hoffnung besteht, dass diese eine (neue) Sensibilität hinsichtlich Preis von Verlagsleistung entwickeln.

Qualitativer Teil: Faktoren zur Auswahl des Journals

Die Studie beinhaltet auch einen qualitativer Teil, bei dem mit Fokusgruppen und Umfragen ermittelt wurde, was Forschende über das wissenschaftliche Publizieren, OA und den finanziellen Aspekten denken. Dieser Teil wurde inzwischen separat veröffentlicht (Tenopir et al. 2016).

Die Resultate bestätigen grundsätzlich vorhergehende Arbeiten (mitunter auch die Resultate meiner Masterarbeit). Die Idee von Open Access für Perspektive des Lesers wird durchgängig begrüsst. Beim eigenen Publizieren spielt OA jedoch nachwievor untergeordnet eine Rolle. Qualität, Reputation, inhaltliche Übereinstimmung, erwartetes Publikum, Chance angenommen zu werden, Geschwindigkeit vom Einreichen zur Publikation oder die Herausgeber sind wichtigere Faktoren bei der Wahl eines Journals als OA.

Desweiteren gibt es disziplin-spezifische Unterschiede. Etwas zugespitzt: Physiker und Mathematiker brauchen Gold OA nicht, da sie ja ArXiv haben. Für Mediziner und Biologen sind APCs schon fast Alltag. Geistes- und Sozialwissenschaftler haben Vorbehalte gegenüber APCs.

Fazit

Das wesentliche Resultat der Studie ist durchaus keine Überraschung, wie David Crotty auf Scholarly Kitchen zutreffend kommentiert. Es war immer wahrscheinlich anzunehmen, dass forschungsintensive Institutionen bei einem Wandel zu Gold OA stärker zur Kasse gebeten werden könnten. Dennoch ist es wichtig diese Annahme einmal mit offiziellem Zahlenmaterial untermauert zu sehen.

Was die Studie leider nicht liefert, ist ein Vergleich zwischen den Ausgaben und Publikationen auf Stufe Verlag. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es bei einer Transformation zu OA auch bei den Verlagen grössere Gewinner und Verlierer geben würde.

Zumindest zeigen die Zahlen aus der Schweiz, insbesondere diejenige der forschungintensiven ETH Zürich, dass ein Wechsel auf Gold OA zumindest bei den Verlagen Elsevier, Springer und Wiley finanziell ohne weiteres möglich wäre und bei diesen Verlagen sogar mit Kosteneinsparungen verbunden wäre. In Angesicht der Resultate von Pay it Forward stellt sich die Frage, ob dieser Unterschied daran liegt, weil man in der Schweiz und bei der ETH Zürich grundsätzlich mehr zahlt, als bei Harvard & Co., oder ob dies eher an dem spezifischen Fokus auf die drei grössten Verlage liegt, der in Nordamerika ebenfalls zu Tage käme, hätte man die Zahlen auf Stufe Verlag verglichen.

Ebenfalls muss in Betracht gezogen werden, dass eine nahezu 100% Umstellung auf OA finanzielle Einsparungen an vielen anderen Orten ergibt. Dabei meine ich nicht nur die radikale Vereinfachung von vielen bibliothekarischen Prozessen, sondern auch die Tatsache, dass ausserhalb der forschungsintensiven Hochschulen es noch zahlreiche andere öffentliche Institutionen (z.B. Fachhochschulen, Spitäler, Behörden etc.) gibt, bei denen bei einer Umstellung Subskriptionskosten entfallen würden. Diese Gelder könnten zumindest anteilsmässig zugunsten des finanziellen Mehrbedarf von forschungsintensiven Hochschulen umgeschichtet werden.

Letztlich scheint es nachvollziehbar, dass die Kosten des heutigen Systems auch bereits durch jemanden bezahlt werden und die Transformation mehr eine Frage der Organisation der Umschichtung von Geldern ist, als tatsächlich ein finanzielles Problem. SCOAP3 hat dies ja unlängst gezeigt.

Meines Wissens ist Pay it Forward die erste öffentliche Studie, bei welcher das Potential der Subskriptionskosten auf institutioneller Ebene für OA solide analysiert wurde. Das weckt Hoffnung, dass auch andere Institutionen dem Beispiel folgen und sich Kennzahlen zu ihrem Potential für OA verschaffen und dies veröffentlichen.

Präsentation an der 8th Conference on OA Scholarly Publishing (COASP)

Zum Schluss sei noch auf eine Präsentation der Studie von MacKenzie Smith, University Librarian, UC Davis am 21. September 2016 verwiesen.

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