Berlin Verlag startet Open Access-Plattform Berlin Academic für Geistes- und Sozialwissenschaftler

Via Dörte Böhner (deren sehr informatives Twitter-Feed ich übrigens jedem wärmstens ans Herz lege) erreichte mich heute eine interessante Nachricht: der Berlin Verlag startet einen hybriden Fachverlag für die Geistes- und Sozialwissenschaften mit dem klangvollen Namen Berlin Academic.

Der Übersichtlichkeit halber zitiere ich hier umfassend aus der entsprechenden Meldung:

Auf einer neu errichteten Online-Plattform veröffentlicht Berlin Academic sein Programm nach Open-Access-Prinzipien und unter Creative-Commons-Lizenzen. Gleichzeitig werden sämtliche Titel über Print on Demand sowie in verschiedenen E-Book-Formaten vertrieben.

Berlin Academic veröffentlicht auf Deutsch und Englisch. Thematische Schwerpunkte sind geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen, insbesondere Zeitgeschichte (Holocaust- und Totalitarismusforschung), Soziologie (Migration, Urbanistik, Arbeitswelten), Politikwissenschaften (Globalisierung, Global Governance), Philosophie (speziell im Spannungsfeld mit Natur- und Neurowissenschaften) sowie Kulturwissenschaften und Linguistik.

Die Berlin Academic Plattform will darüber hinaus wissenschaftlichen Institutionen und Universitäten die Möglichkeit bieten, eigene Schriften und Schriftenreihen zu veröffentlichen. Der Start einer Beta-Version der Plattform mit anschließender Testphase ist für den Sommer 2010 geplant.

So weit, so interessant, denn während es ja auch in Deutschland schon OA-Verlagsangebote gibt, wäre mir ein solches Konzept speziell für die genannten Wissenschaftsbereiche neu, was im Ausland anders ist. Bereits den Anspruch von Open Academic, einen OA-Verlag in den Buchwissenschaften zu etablieren, mag man als Beleg dafür interpretieren, dass nicht alle Verleger den Kopf in den digitalen Sand stecken.

In einem kurzen Interview erläutert Verlegerin Elisabeth Ruge den Schritt:

…mit Berlin Academic wollen wir die neuen Möglichkeiten nutzen, die der Medienwandel für das Verlagsgeschäft bietet. Gerade im wissenschaftlichen Bereich können wir mittels der digitalen Publikationsplattform den Autoren zu einer größeren Sichtbarkeit und Verbreitung ihrer Werke verhelfen. Dabei glauben wir, dass Open Access das traditionelle Verlagsmodell weder ersetzt noch gefährdet – es aber im besten Fall ergänzen kann.

Es wird sich inzwischen herumgesprochen haben, dass Open Access für Wissenschaftler eine attraktive Möglichkeit zur erweiterten Verbreitung der eigenen Forschung ist. Dass allerdings neben öffentlichen Angeboten auch immer mehr kommerzielle Verlage — und eben nicht nur große, sondern auch kleine und mittelständische Häuser — in Open Access eine Chance sehen, stimmt hoffnungsvoll.

Gerade im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften ist das Buch nach wie vor die wichtigste Publikationsform. Open Access ist dagegen lange Zeit in erster Linie auf Zeitschriftenartikel beschränkt gewesen. Mit Berlin Academic wollen wir nun auch Bücher unter Open-Access-Kriterien online zugänglich machen. Das Buch ist aber keineswegs gefährdet. Im Gegenteil: Wichtige Backlist-Titel des Berlin Verlags, von Isaiah Berlin bis Anthony Grafton, erhalten ein neues Leben

…als mittelgroßer Verlag sind wir flexibler als andere und können daher mutiger experimentieren. Wir haben in den letzten Monaten Zeit und Geld in den Aufbau unser digitalen Plattform investiert, um den zukünftigen verlegerischen Herausforderungen zu begegnen. Dies ist ein spannender Prozess, von dem wir uns auch Anstöße für die traditionellen Verlagsbereiche erhoffen.

Das Buch, auch das vom lokalen Fachverlag publizierte, ist nicht gefährdet, sondern erhält „ein neues Leben“, und wissenschaftliches Publizieren in den Geistes- und Sozialwissenschaften bringt „Anstöße für traditionelle Verlagsbereiche“. Sagt eine Verlegerin.

Womöglich ist in der Hauptstadt der Geist der Berliner Erklärung irgendwie ins Trinkwasser übergegangen, jedenfalls sucht man in Frau Ruges Aussage die Jeremiade auf den Untergang unserer abendländischen Kultur vergeblich.

Wer weiß, vielleicht sprechen sich diese Erkenntnisse irgendwann in der Republik herum.

Vielleicht sogar bis in die hintersten Winkel — etwa nach Heidelberg.

13 Gedanken zu “Berlin Verlag startet Open Access-Plattform Berlin Academic für Geistes- und Sozialwissenschaftler

  1. Noch interessanter wäre ein richtiges Hybridmodell mit gedruckter Auflage gewesen, statt nur e-book + POD. Wenn Geisteswissenschaftler wollen, daß ihre Bücher auch tatsächlich gelesen werden, statt nur ihre Publikationsliste zu schmücken, werden sie vermutlich von Berlin Academic nur mäßig begeistert sein.

  2. Wie schon zu Recht im Beitrag hingewiesen wurde, gibt es bereits jetzt schon einige Verlage, die Open Access-Publikationen anbieten, gleichwohl auch diejenigen, die solche Plattformen betreiben. Hier sei an dieser Stelle z.B.auf Springer oder unsere eigene Plattform Wissens-Werk.de verwiesen, die den gleichen Ansatz verfolgen: Förderung von Open Access-Veröffentlichungen (Monografien, Skripte, Journale), Bündelung von Forschungsergebnissen und dadurch Schaffung von Interdisziplinarität.

  3. Vielen Dank für die Kommentare!

    @Martin: inwiefern ist eine „richtige“ Auflage besser als POD? Ich nehme an, weil Bibliotheken ohne feste Auflage die Druckwerke nicht beziehen?

  4. @Martin: Das würde mich auch interessieren — was ist denn der Unterschied zwischen „richtiger“ Auflage und POD? Warum ist ein Hybridmodell nur dann ein „richtiges“, wenn eine definierte Auflage gedruckt wird? Kann das jemand erläutern? Danke!

  5. @Martin: Ein POD-Buch erkennt man ja auch nicht einfach so, es hat ja keinen Stempel „Ich -bin-ein-POD-Buch“. POD ist ja lediglich ein Produktionsverfahren, mehr nicht. Ein Digitaldruckverfahren, welches heutzutage so gut ist, dass es nicht so einfach von herkömmlichen Verfahren zu unterscheiden ist. Unter Garantie: In jeder Universitätsbibliothek stehen Dutzende Bücher die so hergestellt werden. Es ist ja auch kein Makel dran sondern ein wirtschaftlich sinnvolles Verfahren.

  6. Es ist eine berechtigte Annahme, dass POD-Bücher von Bibliotheken weniger angeschafft werden als „herkömmliche“ Ausgaben, jedenfalls könnte ich mir das vorstellen. Mit der technischen Qualität von POD hat das nichts zu tun, aber viel mit Vertriebsmechanismen und Vermarktung.

    Wie kommt eine Bibliothek zu ihren Büchern? Ein paar Ideen habe ich, aber hier bewegen sich doch bestimmt Bibliothekare, die sich mit Erwerbung auskennen, oder?

  7. Gut, ich korrigiere mich: Ich habe noch nie *bewußt* ein POD-Buch in einer Bibliothek gesehen.
    Jedenfalls, wie Cornelius schon sagte: Der Unterschied liegt in Vertrieb und Vermarktung. Wenn ein Verlag erstmal ein paar Tausend Exemplare im Lager hat, wird er sich darum bemühen, diese auch zu verkaufen.

  8. @Martin de la Iglesia

    Die These:

    „Wenn ein Verlag erstmal ein paar Tausend Exemplare im Lager hat, wird er sich darum bemühen, diese auch zu verkaufen.“

    halte ich für gewagt. Sie impliziert, dass Verlage die POD nutzen, kein Marketing betreiben und ihren Vertrieb schlecht organisieren.

    Für eine Auflage von über tausend Exemplaren scheint POD auch nicht die beste Lösung.

    Die Mehrzahl der wissenschaftlichen Monographien und Sammelwerke wird jedoch eine deutlich kleinere Auflage haben.

    POD ist durchaus verbreitet. Universitätsverlage wie der Universitätsverlag Göttingen oder KIT Scentific Publishing drucken, nach meinem Wissen, POD.

  9. @Martin
    Ich klinke mich an dieser Stelle in die Diskussion ein, die ich aufmerksam mitverfolgt habe. PoD ist einzig und allein ein Druckverfahren, es hat nichts mit Vertrieb oder Marketing zu tun. PoD heißt Print-on-Demand, also ein Buch wird gedruckt, wenn es angefordert wird, sprich es wird für Kleinstauflagen genutzt. Warum man sich von Seiten des Verlages und des Autors für kleinere Auflagen entscheidet, hat meist andere Gründe. PoD oder elektronisches Publizieren hat auch nichts mit der wissenschaftlichen Wertigkeit von Büchern/Texten zu tun: beides gelangt an die Öffentlichkeit, wird rezipiert und steht dem Forschungsdiskurs zur Verfügung. Es ist letztlich ein Irrglaube, ein PoD-Buch würde weniger zur Kenntnis genommen. Wie gesagt, es ist ein Herstellungsverfahren und hat nichts, absolut nichts mit Rezeption oder Vertrieb zu tun. Was den Vertrieb/Marketing von Verlagen betrifft, ist es eine vollkommen andere Sache. Es gibt eben solche und solche Verlage. Hier ist das Engagement, das Interesse des Verlages gefragt. Wir nutzen beispielsweise neben der klassischen Bewerbung sehr viel Social Media und haben damit sehr gute Erfahrung gemacht. Ich möchte nochmal betonen: Herstellungsverfahren, Auflagenhöhe und wissenschaftliche Wertigkeit eines Buches stehen zueinander in keinem Abhängigkeitsverhältnis. Es ist eine falsche Annahme, je höher die Auflage, desto mehr würde sich ein Verlag um das Marketing/Vertrieb kümmern.

  10. Ich schließe mich Heinz und Wenke an, allerdings verdeutlicht Heinz‘ Aufzählung einiger Universitätsverlage auch, dass die Mehrheit der wissenschaftlichen Buchverlage (noch) nicht primär via PoD produzieren. Dies ist sicher nur eine Frage der Zeit und wird wohl kaum lange auf sich warten lassen, räumt aber nicht die (unbegründete) Skepsis auf Seiten mancher konservativer Wissenschaftler gegenüber neuen Verfahren wie dem hybriden Publizieren aus.

    Mit Qualität oder der Art der Vermarktung hat PoD natürlich absolut nichts zu tun, aber auf die Wahrnehmung (!) hat das leider bisher nur einen beschränkten Einfluss (siehe Roland Reuß).

    @Wenke
    „PoD oder elektronisches Publizieren hat auch nichts mit der wissenschaftlichen Wertigkeit von Büchern/Texten zu tun: beides gelangt an die Öffentlichkeit, wird rezipiert und steht dem Forschungsdiskurs zur Verfügung.“

    Nicht ganz: klassische, papierbasierte Publikationen stehen vielleicht dem Forschungsdiskurs zur Verfügung, gelangen aber damit nicht automatisch an „die“ Öffentlichkeit (man denke an die prohibitive Bepreisung vieler Monographien). Deshalb ist ja Open Access so wichtig — „die“ Öffentlichkeit kann tatsächlich an der Forschung teilhaben, was gerade die Geisteswissenschaften nachhaltig verändern dürfte.

    Spannend wird es vor allem bei der Frage, ob „die“ Wissenschaft dazu bereit ist, jenseits von spezialisierten Fachpublikationen zu kommunizieren. Als Lesestoff zum Thema Wissenschaft, Gesellschaft und Open Access empfehle ich diesen ungemein guten Artikel von Lisbet Rausing:
    http://www.tnr.com/print/article/books-and-arts/toward-new-alexandria

    So, alles weitere Sinnieren spare ich mir mal für meinen Vortrag auf dem Bibtag in Leipzig am Montag auf. 🙂

  11. @Cornelius
    Völlig d’accord, was die Vorteile von Open Access betrifft. Das machen wir ja im Verlag auch, wir betreiben eine Open Access-Plattform (Wissens-Werk.de) für Monografien, Skripte und Journale. Mit unseren Journalen haben wir sehr gute Erfahrung bzgl. Verbreitung (Auflistung in zahlreichen Datenbanken) und Rezeption gemacht. Selbst arbeite ich auch als Redakteurin und publiziere als Wissenschaftlerin, die ich als Doktorandin der Geschichtswissenschaft bin, im Open Access-Bereich. Ohne Zweifel ändert sich momentan sehr vieles in der Wissenschaft(skommunikation), deren Ursache eben in der Digitalisierung liegt. Es darf eben nur nicht eine Wertung nach Art der Texte hisnichtlich wissenschaftlicher Bedeutung eintreten. Manchmal habe ich in verschiedenen Gesprächen mit Wissenschaftlern das Gefühl, daß dies unbewußt praktiziert würde. Das wäre schade, denn wie im obigen Post gesagt: in allen Formen tritt der Text an die Öffentlichkeit, im Open Access sogar noch schneller und barrierefreier. Die Entwicklung, der Fluß ist spannend. Ich denke, daß am Ende beides gleichberechtigt je nach gewünschter Zielstellung existieren wird: klassischer Print und Open Access.

  12. Mir scheint es eine Frage der Zeit, bis einige wissenschafts Bereiche, von die erweiterte Moeglichkeiten digitale Veroeffentlichungen teilhaben, und gerade deswegen diese wege suchen. Ich denke Konkret an medizinische, archeologische und paleontologische Arbeiten, die zunehmend 3D Datenstrukturen einsetzen, mitsamt die dadurch angebotene Animationsmoeglichkeiten. Dies wird ein komplimentaere Auswirkung an Inhalt haben, der Druckexemplare nur schwer gutmachen koennen, oder?

    Auch wenn es darum geht, die Oeffentlichkeit an solche Arbeiten teilhaben zu lassen, gibts nichts besseres, als ein Bild, die sogar rauemliches erlaubt.

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