Schweizer Verlage – Das letzte Aufbäumen vor Open Access

Mehr Gold und Grün beim SNF

Es waren wegweisende Neuigkeiten, die der Schweizerische Nationalfonds (SNF) am 16. April 2014 für den Sommer ankündigte. Ab Juli verlangt der SNF bei von ihm mitfinanzierten Buchpublikationen, dass diese nach einer Sperrfrist von längstens 24 Monaten auf einem institutionellen oder fachspezifischen Repositorium frei zugänglich sind. Gleichzeitig stellt der SNF Forschenden in Aussicht, dass diese für eine gut ausgestattete Open Access Publikation (enriched-E-Book) bis zu CHF 20‘000.- Förderung beantragen können. Anstatt sich über diese aussichtsreichen Neuigkeiten zu freuen, wurde von Claude P. (offenbar Mitarbeiter von Editions Antipodes) eine Petition ins Netz gestellt, in der „Schweizer Verlage im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften“ an Forschende appellieren, den SNF dazu zu bringen, von dieser neuen Regelung abzusehen. Welche Verlage oder Personen hinter dieser Petition stehen wird nicht erwähnt und war auf Anfrage bei Claude P. nicht zu erfahren. Gemäss neueren Meldungen bei boersenblatt.net und NZZ gehören die Verlage Schwabe und Chronos dazu.

Datenbanken chancenlos gegen das gedruckte Buch

Wie eine unmittelbare Reaktion des SNF darlegt, enthält die Petition einige Missverständnisse und falsche Darstellungen. Aber auch ohne diese Klarstellung ist die Argumentation in manchen Darstellungen nicht überzeugend. Mein persönlicher Favorit:

Die Rolle der Verlage besteht im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften auch darin, Werke einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um gesellschaftliche Phänomene, soziale Prozesse und Debatten zu beleuchten bzw. anzustossen. Ohne diese von den Verlagen geförderte Verbreitung würden die genannten Bücher auf Datenbanken liegen, die einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt sind.

Es ist schon eine dreiste Realitätsverweigerung, wenn die Petitions-Urheber die Vorteile des Internets, wie sie in der Berlin Declaration von 2003 klar zum Ausdruck kommen und von allen Schweizer Hochschulen angestrebt werden, mit dem „Liegen auf einer Datenbank“ vergleichen. Das Gegenteil ist doch der Fall. Inhalte die eben nicht elektronisch und frei zugänglich gemacht werden, sondern nur gedruckt in einer Bibliothek stehen, haben zunehmend kaum noch eine Chance von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Verlage die heute wissenschaftliche Inhalte weder elektronisch noch frei zugänglich machen, nehmen ihre Rolle, die sie sich auf die Brust schreiben nicht wahr.

Zeichen der Zeit verpasst

Aber auch die Empörung über diesen „schnellen“ Entscheid des Nationalfonds und die Forderung die neue Regelung hinauszuschieben ist unverständlich. Seit der Berlin Declaration sind bereits über zehn Jahre vergangen. Seit 2012 bietet die Hauptbibliothek der Universität Zürich unabhängig vom SNF einen Open Access Publikationsfonds für die Geistes- und Sozialwissenschaften an. Eigentlich mehr als genug Zeit um die Vorzeichen richtig zu deuten und neue Geschäftsmodelle anzubieten. Ein Blick in das Directory of Open Access Books (doab) zeigt deutlich, dass andere Verlage in den Geistes- und Sozialwissenschaften, darunter auch traditionelle wie Böhlau, Brill oder De Gruyter es besser verstanden haben auf die Open Access Forderungen zu reagieren. Für Sven Fund, Geschäftsführer von De Gruyter gehört übrigens Open Access schlicht in das Angebotsportfolio eines Wissenschaftsverlages. Diese Petition, die übrigens mit keinem Wort die neuen grosszügigen Fördermöglichkeiten des SNFs für den goldenen Weg erwähnt, ist klar als das letzte Aufbäumen ewiggestriger Verlage vor dem unweigerlichen Wechsel zu Open Access abzutun. Allerdings wird die Petition mit der polemischen Angstmacherei, es werden künftig keine Bücher mehr gedruckt, bei einigen konservativen Forschenden tatsächlich Erfolg haben.

So schnell verschwindet das gedruckte Buch nicht

So meldete sich Ulrike Landfester, Prorektorin und Professorin für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität St. Gallen im lokalen Tagblatt zu Wort. Indem der SNF nur noch Prozesse der Druckvorstufe fördert, aber nicht mehr die Druckkosten selber, befürchtet sie, dass künftig keine Bücher mehr gedruckt werden und dadurch ein elementares Bedürfnis der Geistes- und Sozialwissenschaft nicht mehr abgedeckt wird. Für Landfester, scheint es einen Unterschied in der Rezeption zu machen, ob man den identischen Inhalt auf Papier oder auf einem Kindle/iPad/Tolino usw. liest. Sie möchte deshalb, dass weiterhin nicht nur die Herstellung eines Buches, sondern auch explizit der Druck gefördert wird. Dabei deutet allerdings vieles drauf hin, dass der Druck dank „Print on Demand“-Technik bei genügend grosser Nachfrage kaum verschwinden wird. Bei Springer beispielsweise kann man jedes e-Book für $25 als gedruckte Version bestellen. Auch lässt sich anhand der Open Access Titel bei Böhlau feststellen, dass eine Förderungspolitik, wie sie nun vom SNF angekündigt wurde und in Österreich beim FWF mit einer ähnlichen Regelung schon aktiv ist, dazu führt, dass die Monografien/Sammelbände weiterhin als gedruckte Bücher erhältlich sind. Ob langfristig gedruckte Bücher noch im grossen Stil von privaten Kosumenten und vorallem von Bibliotheken gekauft werden, sobald sie Open Access vorliegen ist eine andere Frage. Zurzeit sind die Geschäftsgänge von Bibliotheken noch stark auf gedruckte Bücher ausgerichtet, so dass es für Bibliotheken aktuell einfacher ist, die Print Version zu kaufen und es reine OA-Publikationen bei der Bibliothek schwer haben. So berichtete beispielsweise der britische Open Book Publisher an der letzten OAI-Konferenz, etwas verzweifelt von seinen Versuchen Inhalte in die Bibliothekskataloge zu bringen. Wenn man zudem sieht, wie schwer sich einige Bibliotheken tun, den heute eigentlich überflüssigen Dissertationstausch einzustellen, kann man sich gut vorstellen, dass OA-Bücher noch lange gedruckt erworben werden.

Archivierung

Um den Bedarf nach einer gedruckten Version zu bekräftigen, führt Landfester sogar noch die Ungewissheit der digitalen Langzeitarchivierung an.

Das Buch, so Ulrike Landfester, sei zudem der weitaus zuverlässigere und nachhaltigere Datenträger als das Internet. Elektronische Daten müssten alle paar Jahre migriert werden; mit Kosten, die «mindestens so hoch, wenn nicht deutlich höher sind als jene für Bücher».

Es soll nicht behauptet werden, dass die Langzeitarchivierung keine Herausforderung darstellt. Aber es ist nicht so, dass wir auf gar keine Erfahrungswerte und Lösungsansätze zurückgreifen können. Gerade die Digitalisierung und Open Access  ermöglicht es uns Daten zu verteilen und dadurch besser zu sichern als je zuvor. LOCKSS aus Stanford demonstriert dies seit Jahren zuverlässig und ohne übermässigen Kosten. Gerne sei an dieser Stelle auf einen Blog-Post „Are we Facing a Digital Dark Age?“ von David Rosenthal verwiesen. Und bei allem Lobgesang auf das gedruckte Zeitalter darf man nicht ausblenden, dass es auch schon immer Risiken bei der analogen Aufbewahrung gegeben hat. Dass eine Bibliothek auch brennen (Herzogin Anna Amalia Bibliothek) oder ein Archiv einstürzen (Historisches Archiv der Stadt Köln) kann, wird leicht vergessen.

SSH vs. STM

In der Wahrnehmung einiger Geistes- und Sozialwissenschaftler galt Open Access bislang nur für die zeitschriftlastige Publikationskultur der Naturwissenschaftler, da dort der Bedarf nach einer Lösung der Zeitschriftenkrise vordringlicher war und noch ist. So entsteht nun fälschlicherweise den Eindruck man wolle ein Konzept der Naturwissenschaften auf die Geistes- und Sozialwissenschaften drücken und sieht sich als Disziplin missverstanden und benachteiligt. Dabei geht vergessen, dass gemäss der Berlin Declaration sich die Open Access Forderung schon immer auch auf die Humanities und auch auf Bücher bezog. Wer sich über die gefühlte oder echte Dominanz der Naturwissenschaften bei der Mittelverteilung stört, sollte das an anderen Orten, aber nicht als Kritik von Open Access anbringen. Der aktuelle NZZ-Artikel trennt diese Aspekte vorbildlich.

Open Access das einzig sinnvolle

2013 unterstützte der SNF 134 wissenschaftliche Buchpublikationen mit einer Förderungssumme von rund 1,6 Millionen Franken. Das wenigste davon steht der Öffentlichkeit frei zu Verfügung, obwohl sie es bezahlt hat. Es ist zu hoffen das der SNF unbeirrt weiterfährt, so dass dann spätestens ab 2016 auch Schweizer Inhalte in DOAB zu finden sind. Idealerweise auch mit einer CC-BY Lizenz.

Update:  20.5.2014

  • Zur OA-Politik des SNF gibt es eine Interpellation: „Open Access: eine Bedrohung für das Verlagswesen?“ eingereicht von der Ständerätin Géraldine Savary (SP, VD).
  • Inzwischen werden auf der Petititonswebseite die folgenden Verlage aufgeführt: Academic Press Paulusverlag || Chronos Verlag || Cosmos Verlag AG – Bereich Fachmedien || Dike Verlag AG || Editions Alphil || Editions Antipodes || Editions Chaman || Editions d’en bas || Editions EESP || Editions IES || Helbing Lichtenhahn Basel || hep Verlag Bern || HK Handelskunde Verlag || Infolio SA || Interact Verlag, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit || Labor et Fides || Liberalis Verlag AG || Librairie Droz || MetisPresses || Orell Füssli Verlag AG || Ott Verlag Bern || Peter Lang Verlag || Réalités sociales || Rüegger Verlag Südostschweiz Presse und Print AG || Schulthess Juristische Medien AG || Schwabe AG Verlag Basel || Seismo Verlag AG || Springer Basel AG || Stämpfli Verlag AG Bern || TVZ Theologischer Verlag Zürich AG || vdf Hochschulverlag AG || Verlag am Goetheanum || Verlag Hans Huber || Verlag hier+jetzt || Verlag S. Karger || Versus Verlag
  • Auf Anfrage bestätigt allerdings der vdf Hochschulverlag (der Open Access schon seit langem unterstützt), von dieser Petition bislang keine Kenntnis gehabt zu haben.
  • Von Caspar Hirschi, Professor für Allgemeine Geschichte, Uni St. Gallen gibt es einen neuen Beitrag in der NZZ, worin er den verlegerischen Mehrwert von vielen Subventionsverlagen als gering beschreibt.

Update:  23.5.2014

  • Plädoyer für das gedruckte Buch in der NZZ von Michael Hagner, Wissenschaftshistoriker an der ETH Zürich. Gerne verdrehe ich Hagner das Wort im Maul:

Mit seiner kürzlich erlassenen Verordnung, keine Zuschüsse mehr für den freien Zugang zu Büchern zu bewilligen, sondern nur noch die Aufbereitung von Druckexemplaren zu fördern, die dann nach Ermessen der Verlage frei ins Netz gestellten werden können, aber spätestens 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, treibt der Schweizerische Nationalfonds (SNF) die Geisteswissenschaften in ein Buch-Ghetto, das diesen erheblichen Schaden zufügen dürfte. Wenn ein Wissenschafter ein Buch schreiben und frei zugänglich machen möchte, kann er sich an den SNF nicht mehr wenden. Das kommt eher einer Forschungsverhinderung als einer Forschungsförderung gleich. Damit keine Missverständnisse entstehen: Es ist nichts dagegen einzuwenden, Print Publikationen zu fördern. Es soll auch niemand daran gehindert werden, die Resultate einer fünfjährigen Forschungsarbeit als gedrucktes Buch zu veröffentlichen. Doch es ist verfehlt, wenn der SNF alle Verlage über einen Kamm schert, Open Access abwürgt und den Buchdruck als Zwangsmassnahme durchdrücken will. Unter solchen Bedingungen gedeiht Wissenschaft nicht, nirgendwo.

Update:  26.5.2014

  • Der Schweizer Bundesrat hat inzwischen die offene Interpellation ganz im Sinne von OA beantwortet: http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20143215
  • Auch sieht man inzwischen auch erste Anzeichen von zurückhaltender Akzeptanz. Auf der Website von Peter Lang kann man seit Anfang Mai nun auch lesen:

    In vielen Disziplinen ist Open Access zu einem geschätzten Publikationsmodell geworden. Neben klassischen Veröffentlichungen mit globalem Marketing und Vertrieb ermöglicht Peter Lang daher auch Publikationen im Open Access. Schließlich sollen Wissenschaftler selbst entscheiden, wie sie publizieren möchten. Der schnelle, sichere und dauerhafte Zugang zu Open Access Publikationen kann über die Peter Lang Website und Partnerwebsites ermöglicht werden. Sprechen Sie uns an: gerne beraten wir Sie über Konditionen und Lizenzmodelle!

Update: 27.5.2014

  • Um es positiv zu sehen: Open Access ist nun auch beim konservativen Feuilleton der NZZ angekommen. Mehr Positives lässt sich über den Beitrag von Uwe Justus Wenzel leider nicht sagen: Der Nationalfonds kapituliert: «Open Access»

Update: 27.6.2014

  • Wolfram Groddeck, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Zürich findet die Online Veröffentlichung zwar sinnvoll, bleibt aber im Zweifel für das Buch. Als Beispiel führt Groddeck die kritische Robert-Walser Ausgabe an, die trotz massiver öffentlicher Förderung nicht frei im Netz zugänglich ist. Eine Zusammenstellung der Förderung des SNF zeigt auf, dass das im Verlaufe der Periode 2004-2016 gut 3 Mio CHF in das Projekt geflossen sind. Davon 239’600 CHF alleine in Form von Publikationsbeiträgen.

Update: 6.7.2014

  • Das Wortprotokoll der Ständeratsession vom 16.6.2014 in der die Interpellation „Open Access. Eine Bedrohung für das Verlagswesen?“ behandelt wurde ist nun online. Schneider-Ammann betonte, dass die Petition vom Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband ausdrücklich nicht unterzeichnet wurde. Dafür hat die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften die Publikationsförderung des Nationalfonds, wie vom Bundesrat vorgegeben, vollumfänglich unterstützt. Der Bundesrat ist überzeugt, dass das Verlagswesen durch die Open-Access-Entwicklung nicht bedroht ist.
  • In der Zwischenzeit hat der SNF die Publikationsförderung angepasst. Die Beiträge des SNF werden nun um 2000 CHF grosszügiger ausfallen als ursprünglich geplant. D.h. für eine Dissertation gilt eine sehr grosszügige Pauschale von CHF 8000. Für ein OA E-Book sogar 12’000 CHF. Ebenfalls ist ein Monitoring geplant, welches Fakten über die tatsächlichen Kosten der Verlage liefern soll. An der Frist von max. 24 Monaten wird festgehalten.

Update: 25.7.2014

  • Paul Schubert, Professor für Altgriechisch an der Universität Genf und Präsident der Abteilung Geistes- und Sozialwissenschaften des SNF äussert sich in einem Gastkommentar in der NZZ zur bisherigen Debatte: Mehr Menschen über aktuelle Forschung informieren.

Disclaimer: Ich arbeite seit dem 1.7.2014 beim SNF. Dieser Beitrag widerspiegelt alleine meine persönliche Meinung.

8 Gedanken zu “Schweizer Verlage – Das letzte Aufbäumen vor Open Access

  1. Bis jetzt haben knapp 3000 „ewiggestrige“ und „konservative“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Schweiz und aus zahlreichen andern Ländern die Petition unterzeichnet. Der Artikel von Christian Gutknecht ist voller Unterstellungen an die Adresse der Verlage und ein Beleg dafür, wie wichtig ein Lektorat und Korrektorat vor der Verbreitung eines Textes wäre.

    Rund 30 Schweizer Verlage haben in Gesprächen mit dem Schweizerischen Nationalfonds versucht, die Rolle des gedruckten Buches in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu erläutern. Die Verlage haben sich nicht gegen einen Systemwechsel (Förderung nur mehr von E-Books) und auch nicht gegen eine Open-Access-Poltik gestellt. Es geht den Verlagen darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die ihnen auch in Zukunft eine ökonomische Basis bieten und eine Veröffentlichung in Buchform nicht verhindern.

    Die letzte Unterstellung des Artikels ist die Behauptung, dass die vom SNF unterstützen Buchpublikationen der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung stünden. Es sind gerade die vergleichsweise wenigen unterstützten Publikationen in Buchform, die für ein breiteres Publikum ausserhalb der Akademie greifbar sind und in den Publikumsmedien Beachtung finden. Schon heute wird – auch dank der Auswahlkriterien der Verlage – nur ein kleiner Teil der wissenschaftlichen Produktion gedruckt oder elektronisch durch Verlage verbreitet. Der Rest liegt auf Servern, die ausserhalb der Akademie nicht bekannt sind.
    Übrigens: Die Publikationsbeiträge für Bücher machen etwa 0,2 Prozent des Gesamtbudgets des SNF aus.

  2. Herr Wiedmer,

    Wenn ich Ihre Position als ewiggestrig bezeichne, dann aus dem Grund, dass Sie offenbar immer noch nicht wahrhaben wollen, dass das Internet das Verlagsgeschäft fundamental verändert hat. Anstatt wie andere Verlage darauf zu reagieren, versuchen Sie die seit zehn Jahren im Raum stehende Open Access Forderung auszusitzen. Ich habe Sie persönlich in einem Mail vom 24. Juli 2009 darum gebeten, dass Ihr Verlag das Bedürfnis der Wissenschaft nach Open Access aufnimmt und entsprechende Optionen den AutorInnen künftig anbieten wird. Wortwörtlich habe ich damals geschrieben:

    „Ich bin überzeugt davon, das mit Open Access eine win-win Situation für alle Beteiligten geschaffen werden kann! Das Bedürfnis nach Open Access bei wissenschaftlichen Publikationen wird auch in Zukunft bestehen, wenn nicht sogar noch grösser werden.“

    Und Sie antworteten mir unter anderem:

    „Vom inhaltlichen Nutzungsrecht der Texte abgesehen, erwerben die Verlage in aller Regel das Recht an der korrigierten und professionell gelayouteten Form der Texte. Wir weigern uns daher zurzeit, den Autoren die Rechte an diesen von uns erbrachten Leistungen abzutreten. […] Falls in nächster Zeit Wege gefunden werden, die Verlagsleistungen im Bereich der wissenschaftlichen Publikation tatsächlich abzugelten, würden wir unsere Position überdenken“

    Nun sind fünf Jahre verstrichen und Sie haben nichts geändert und nichts ausprobiert. Wenn ich das richtig sehe, sind die Publikationen Ihres Verlages, an deren inhaltlichen Qualität übrigens niemand zweifelt, heute noch nicht einmal als E-Book erhältlich. Das Bedürfnis nach OA ist tatsächlich grösser geworden und die Bereitschaft Verlagsleistungen abzugelten ist beim UZH-Publikationsfonds schon seit 2012 vorhanden und wird nun beim SNF ab Juli 2014 eine Realität sein.

    Vielleicht können Sie uns auch aufklären, warum die Aussicht auf bis zu 20’000 CHF pro Buchproduktion Ihnen immer noch nicht als genug erscheint um endlich den Schritt ins elektronische und Open Access Zeitalter zu wagen. Was sind da konkret Ihre Vorstellungen? Mit was kalkulieren Sie eine Buchproduktion?

    Und ja, der letzte Abschnitt war leider etwas undeutlich ausgedrückt. Mit „zu Verfügung stehen“, meine ich natürlich elektronisch frei im Internet zugänglich. Bloss in einer Bibliothek als Print-Version greifbar, entspricht schon längerem nicht mehr dem Stand des Möglichen.

  3. Lieber Herr Gutknecht
    Wir wollen hier keine private Auseinandersetzung öffentlich führen; nur dies: ich habe mich gewundert, dass Sie ohne Rücksprache aus meinem privaten Mail zitieren. Den Leserinnen und Lesern will ich hier meine ganze Antwort an Sie als damaligem Mitarbeiter von ZORA, dem Repositorium der Universität Zürich, nicht vorenthalten:

    „Die Problematik „Open Access“ ist nicht nur aus Verlagsperspektive komplex und daher von mir in einem Mail nicht umfassend zu umreissen.
    Knapp auf den Punkt gebracht:

    Verlage erbringen im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich erhebliche inhaltliche und grafische Leistungen an den Texten, die sie publizieren. Vom inhaltlichen Nutzungsrecht der Texte abgesehen, erwerben die Verlage in aller Regel das Recht an der korrigierten und professionell gelayouteten Form der Texte. Wir weigern uns daher zurzeit, den Autoren die Rechte an diesen von uns erbrachten Leistungen abzutreten. Zudem würden wir keine Texte publizieren, die schon open acess in unredigierter Form greifbar sind. Dies kann aus unserer Sicht auch nicht im Interesse der Autoren und letztlich der Wissenschaft sein, weil so verschiedene Versionen des gleichen Textes kursieren würden.
    Falls in nächster Zeit Wege gefunden werden, die Verlagsleistungen im Bereich der wissenschaftlichen Publikation tatsächlich abzugelten, würden wir unsere Position überdenken.

    Zudem: Es ist uns bekannt, dass die Universität alle Angehörigen verpflichten will, ihre Publikationen auf Zora zu veröffentlichen. Will sich der Zürcher Wissenschaftsbetrieb nicht lächerlich machen, so hat die Universität durch ein Qualitätsmanagement sicherzustellen, dass die bisherigen Verlagsleistungen durch eine andere Stelle erbracht werden. Zur Unterstützung dieser Behauptung könnten wir Ihnen leicht dutzende von Arbeiten mit hunderten von sprachlichen, typografischen und leider auch inhaltlichen Fehlern zeigen, die durch ein sorgfältiges Verlagslektorat und -korrektorat weitgehend behoben wurden.
    Aus dieser (meiner) Sicht sind die euphorisch behaupteten Vorteile von Zora ein Ärgernis, weil die Folgen nicht für alle Beteiligten und auch nicht langfristig zu Ende gedacht sind.
    Ich würde mich freuen, gelegentlich ausführlich mit Ihnen über dieses weite Feld zu diskutieren.“

    Seien Sie versichert, dass wir uns intensiv mit der Frage beschäftigen, wie open access für alle Beteiligten nutz- und sonnvoll umgesetzt werden kann. Die Zeitschrift „traverse“ und die „Jahrbücher der Schweizerischen Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ sowie die Reihe „Interferenzen“, alles Publikationen des Chronos Verlags, sind, von Ihnen offenbar unbemerkt, kostenlos im Netz.

    Zu Ihrer Unterstellung, die Verlage würden eine Unterstützung von CHF 20000 als ungenügend erachten: Der SNF stellt neu Maximalbeträge von CHF 10000 für gewöhnliche E-Books und maximal CHF 20000 für „enriched“ E-Books zur Verfügung. Unter letzteren versteht er durch Filme, Töne usw. angereicherte Publikationen, also explizit keine Bücher im klassischen Sinn.

    Ich lade Sie sehr gerne erneut zu einem Besuch in den Verlag ein, um mit Ihnen die hier nur angetippten Fragen zu diskutieren.

  4. Wer die Forderung erhebt, ein Blog-Posting („Artikel“) bedürfe eines Lektorates oder gar Korrektorates, der behandelt die falsche Frage.
    Die Frage ist, welche Rolle und welchen Auftrag der Schweizerische Nationalfonds (SNF) hat.
    Und ich glaube nicht, dass der SNF das Überleben der Verlage sichern kann (oder sollte).

    Der SNF fördert die wissenschaftliche Forschung in der Schweiz und beachtet dabei die spezifischen Bedürfnisse der einander gleichgestellten Fachrichtungen (Art. 1 und 2 der Statuten).
    Verunmöglicht oder erschwert der SNF mit seiner neuen Regelung betreffend Open Access bei Büchern (nach 24 Monaten!) die Forschung?

    Der SNF schreibt:

    „Für Buchpublikationen können weiterhin Kosten für Satz, Layout, Bildrechte, Bildbearbeitung, Lektorat/Korrektorat und Digitalisierung geltend gemacht werden.“

    Die Qualitätssicherung bzw. die Leistung durch die Verlage – abgesehen vom Druck – wird also weiterhin abgegolten.

    Dass nur die traditionelle Buchform überhaupt für ein breiteres Publikum „greifbar“ ist, wie Herr Wiedmer schreibt, bildet einen starken Kontrast zur Beobachtung bei jungen Studierenden, dass nur existiert, was online „verfügbar“ ist. Zugriff heisst heute nicht mehr physisch handhabbar, sondern zuallererst orts- und zeitunabhängig durchsuch- und auswertbar.
    Lesbar sind beide Formen (sofern man das Buch überhaupt „in die Hände kriegt“).

    Herr Wiedmer als Geschäftsführer eines Verlages irrt auch, wenn er von den anderen, nicht gedruckten wissenschaftlichen Texten auf „Servern“ spricht, „die ausserhalb der Akademie nicht bekannt sind.“
    Schon nur aufgrund der Heterogenität der verschiedenen Forschungsdisziplinen, welche zum Teil gar nicht auf das Publizieren von Monographien ausgerichtet sind.
    Auch sind Fachrepositorien oder Repositorien von Universitäten und Hochschulen über die üblichen Suchmaschinen inzwischen gut erschlossen (z.B. Google Scholar), so den Forschenden denn überhaupt durch die Verlage erlaubt wurde, ihre Forschungsresultate Open Access zu stellen.
    Das Gegenteil trifft eher zu: Wenn ich zum Beispiel über die neuesten Behandlungsmethoden einer Krankheit etwas erfahren möchte, stosse ich relativ schnell (via Google) auf „Server“ von Verlagen, welche mir den Zugriff verweigern.
    In den Worten von Rupert Gatti, Direktor bei Open Book Publishers:

    „Das bisherige Geschäftsmodell der Verlage fusst auf der Verweigerung des Zugangs zum Wissen.“

    (https://indico.cern.ch/event/211600/session/11/contribution/16)

    Dass sich mit „dem Internet“ die Form des Publizierens und Verbreiten von Texten – auch wissenschaftlichen – verändert, ist inzwischen eine Binsenwahrheit. Dass sich dies früher oder später auch auf „das (wissenschaftliche) Buch“ auswirkt, ebenso.

    Die Frage ist, wie diese Veränderungen passieren: Wer steuert, wer wird gesteuert oder überlassen wir’s den freien Marktmächten?
    Im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens scheinen mir die freien Marktmächte bisher nicht gerade vertrauenswürdig:
    Monopolisierung, Mystifizierung (Thomson Reuters Impact Factor) und Monetarisierung von Top-Journals, Riesengewinne von grossen Playern (Elsevier mit fast 40% Umsatzrendite, siehe http://poeticeconomics.blogspot.ch/2014/03/elsevier-stm-publishing-profits-rise-to.html) bringen Riesenprobleme für kleine Verlage.
    Und trotzdem fehlt der freie Zugang zum grössten Teil der öffentlich geförderten Forschung.

    Es braucht also eine Steuerung dieser Transformationsprozesse durch die öffentliche Hand.
    Aber verstehen sich die (Schweizer) Verlage als blosse Subventionsempfänger oder als eigenständige, innovative und der Qualität verpflichtete Unternehmen?
    Welche Leistungen genau soll der SNF weiterhin abgelten, weil ansonsten die geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung darunter leidet?
    Oder leiden die Verlage?

    P.S. Das Zitieren einer sachlichen Aussage aus einem Mailwechsel zwischen einem Zora-Mitarbeiter der Universität Zürich und dem Geschäftsführer eines Buchverlages erscheint mir als Aussenstehendem eher unproblematisch.
    Schliesslich wurde damit die Frage nach der verlegerischen Eigenleistung dargestellt. Dass Herr Wiedmer seine ganze Antwort nun veröffentlicht, ist verdankenswert.

  5. Herr Wiedmer,

    Indem Sie sich hinter dieser Petition stellen und öffentliche Gelder für Ihr Unternehmen beanspruchen, scheint mir „unsere“ Diskussion durchaus von öffentlichen Interesse.

    Da Sie jetzt nocheinmal Ihre Position von 2009 wiederholen und heute wie damals den grünen Weg offenbar noch immer nicht verstanden haben, zeigt leider deutlich wie intensiv Sie sich seit fünf Jahren mit Open Access beschäftigt haben. Denn noch NIE ging es darum Texte ohne „Qualitätsmanagement“ ins Netz zu stellen.

    Leider verpassen Sie es auch der Öffentlichkeit aufzuzeigen, warum 10’000 CHF nicht genügen um ein gewöhnliches E-Book herzustellen. Open Book Publishers bezeichnet seine durchschnittlichen Kosten mit £3700 pro „gewöhnlichen“ E-Book. Deshalb noch einmal die Frage: Mit was kalkulieren Sie? Wo und was sind Ihre Kosten? Wo ist zurzeit überhaupt Ihr unternehmerisches Risiko?
    Warum können andere Verlage (ich habe Böhlau, Brill und De Gruyter erwähnt aber bei DOAB finden sich noch zig andere) Open Access Bücher herstellen und Chronos offfenbar nicht?

    Das frei zugängliche Archiv von Traverse bei Retro-Seals ist mir selbstverständlich nicht entgangen. Und ich finde das auch ein ganz guter Schritt. Allerdings sind die neusten zwei Jahrgänge jeweils immer noch nicht frei zugänglich. D.h. von idealem Open Access mit CC-BY, sind wir da immer noch etwas entfernt.

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